26.11.2020
Ende November begann im Mechatronik-Cluster eine neue Ära: Der langjährige Beirat DI Dr. Gerhard Dimmler, verantwortlich für die globale Forschung und Entwicklung bei der ENGEL AUSTRIA GmbH, übernahm die Funktion des Beiratssprechers von Wolfgang Rathner, dem langjährigen Geschäftsführer der FILL Gesellschaft m.b.H.
Warum war Ihnen diese Funktion ein Anliegen und damit den Mechatronik-Cluster sowie alle Partnerunternehmen zu unterstützen?
Ich bin seit über 15 Jahren in der Industrie und dort durchgehend in der Entwicklung tätig. Die Herausforderungen sind in dieser Zeit komplexer geworden, weil die unterschiedlichen technischen Disziplinen immer stärker ineinandergreifen. Gleichzeitig hilft uns gerade die Mechatronik dabei, diese Herausforderungen zu bewältigen. Das umfassende Systemverständnis in Kombination mit leistungsstarken Berechnungsmöglichkeiten machen Optimierungen und Weiterentwicklungen sowohl im Engineering unserer Maschinen als auch in der industriellen Umsetzung möglich, die vor Jahren noch undenkbar waren. Die neuen Lösungsmöglichkeiten gehen weit über jene hinaus, die auf – wenn auch langjährigen – Erfahrungen basieren. Hinzu kommt, dass sich gerade die Mechatronik durch neue Technologien wie beispielsweise das verbesserte Modellverständnis in Kombination mit der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz in den nächsten Jahren stark verändern und weiterentwickeln wird.
Wolfgang Rathner hat gemeinsam mit dem MC-Team in den vielen Jahren als Beiratssprecher den Mechatronik-Cluster zu einem der erfolgreichsten Cluster in Ober- und Niederösterreich aufgebaut. Dafür möchte ich ihm und dem Team auch an dieser Stelle recht herzlich danken und es ist mir eine Freude und Ehre, dieses Erbe antreten zu dürfen.
Darüber hinaus ist es mir ein persönliches Anliegen, den Mechatronik-Cluster nicht nur als Mitglied, sondern nun auch als Beiratssprecher weiter voranzutreiben.
Was zeichnet den Mechatroniksektor in Oberösterreich aus?
Der Mechatroniksektor hat sich seit seiner Geburtsstunde durch Bruno Buchberger sensationell entwickelt. Denken wir nur an die FH Hagenberg und die weiteren Standorte in Wels und Steyr. 1990 wurde an der JKU die Mechatronik als eigener Fachbereich gegründet – heute der wesentliche Nukleus der Mechatronik in Oberösterreich. Die zahlreichen Absolventen dieser Ausbildungsstätten stellen dieser Erfolgsgeschichte das beste Zeugnis aus. Sie setzen ihr Wissen in der Industrie erfolgreich ein und haben den Wirtschaftsstandort OÖ damit entscheidend vorangebracht.
Wo wird die Branche in einem Jahr bzw. in zehn Jahren stehen?
Aufgrund der aktuellen Situation rechne ich damit, dass die Branche auch in einem Jahr noch mit der substanziellen Krise in der Automobilindustrie zu kämpfen haben wird. Investitionen wird es vor allem durch Rationalisierungsmaßnahmen, aber auch durch den steigenden umweltpolitischen Druck – Stichwort CO2-Footprint – geben. Nach dem Lockdown im Frühjahr scheint sich die Wirtschaft gerade wieder langsam zu erholen. Wenn es uns gelingt, einen weiteren Lockdown der Industrie zu verhindern, gehe ich von einer kontinuierlichen Weiterentwicklung dieses Trends aus.
Wie die Branche in zehn Jahren aussehen wird – das wäre tatsächlich ein Blick in die Kristallkugel. Wir haben es aber selbst in der Hand, mit der Mechatronik die Entwicklung positiv zu beeinflussen. Lassen Sie mich einen Vergleich mit der Marktökonomie anstellen. Unsere Märkte und die Anforderungen entwickeln sich immer stärker in Richtung „VUCA“. Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität nehmen zu. Es liegt in den Genen der Mechatronik, das Potenzial dynamischer Wechselwirkungen gewinnbringend zu nutzen. Dies ist eine hervorragende Basis, die zukünftigen Herausforderungen sehr gut zu meistern. Deshalb ist es so wichtig, auch die Mechatronik ständig neu zu hinterfragen und weiterzuentwickeln.
Welche aktuellen Entwicklungen in der Branche haben für Sie das größte Erfolgspotenzial?
In der Digitalisierung sehe ich das größte Potenzial für die nächsten Jahre. Die Digitalisierung ist für mich – vereinfacht gesagt – ein Methodenbaukasten voller neuer Technologien, die wir konsequent weiterentwickeln und nutzen können. Die Mechatronik ist die Disziplin, die es uns ermöglicht, diese Technologien zu industrialisieren, sie erfolgreich in der Entwicklung, der Produktion und der Fertigung einzusetzen, um einen Mehrwert zu generieren. Sei es durch intelligentere Produkte oder Services mit aktiver oder autonomer Assistenz oder durch gezielte Anwendung von KI in Verbindung mit domainspezifischem Wissen. Mein Leitspruch ist: Technologien können wir vorhersehen und abschätzen, die damit verbundenen Anwendungsmöglichkeiten übersteigen aber bei weitem unseren Horizont. In diesem Sinne wird uns die Mechatronik künftig noch ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.
Auch wenn sich heute oftmals in der Praxis der Nutzen der Digitalisierung noch nicht zeigt, so gilt es, diese Möglichkeiten in Zukunft zu nutzen. Wenn wir es nicht tun, tut es sicherlich wer anderer.
Was kann der Mechatronik-Cluster noch tun, um oberösterreichische Unternehmen zu unterstützen?
In den nächsten Jahren stehen zahlreiche wichtige Entscheidungen im mechatronischen Umfeld an, die einen wesentlichen Einfluss auf die oberösterreichischen Unternehmen haben werden. Einerseits gilt es, die Chancen mit der Technischen Universität OÖ im Gesamtkontext bestmöglich zu nutzen. Hierzu gibt es noch zahlreiche Fragen zu klären. Andererseits stehen wir vor einem Generationenwechsel in der Mechatronik an der JKU, der es uns ermöglicht, den Fokus der Mechatronik – wie bereits angesprochen – anzupassen.
Wichtig ist mir, die in den letzten Jahren etablierte Zusammenarbeit zwischen der FH OÖ und der JKU im Bereich der Mechatronik weiter zu intensivieren. Wir haben mit der hohen Dichte an unterschiedlichen technischen Ausbildungsstätten ein großes Potenzial, das wir durch Synergien nutzen und nicht durch Redundanzen vergeuden sollten.
In der aktuellen Wirtschafts- und Forschungsstrategie #upperVISION2030 ist das Mitwirken der Mechatronik und der mechatronischen Systeme als eine wesentliche Schlüsseltechnologie und Kernkompetenz angeführt. Darauf müssen wir aufbauen. Ich sehe es als die Aufgabe des Mechatronik-Clusters, die Interessen der Industrie zu vertreten und die künftigen Notwendigkeiten für die Industrie auf fachlicher Ebene sicherzustellen.
Wir stellen jetzt die Weichen, welchen Stellenwert die Mechatronik in Zukunft in Oberösterreich haben wird. Davon wird abhängen, ob die Industrie in OÖ auch künftig so stark von der Mechatronik profitieren kann, wie sie in den vergangenen 20 Jahren profitiert hat. Wir haben eine große Chance, die es aber auch zu nutzen gilt.
Wie geht es Engel in dieser herausfordernden Zeit? Welche Maßnahmen finden Sie in der aktuellen Situation besonders hilfreich, um so unbeschadet wie möglich durch die Krise zu kommen?
Bereits deutlich vor der Pandemie waren die Marktvolumina zurückgegangen, vor allem in der Automobilindustrie. Die schlechte konjunkturelle Entwicklung wurde durch COVID-19 allerdings verschärft. Dabei kommt es ENGEL zugute, unterschiedliche Branchen zu bedienen. Die Medizintechnik wächst, denn die Kunststoffindustrie leistet einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie. Hinzu kommt, dass die Krise für die Digitalisierung große Chancen eröffnet. Aufgrund der Reise- und Kontakteinschränkungen nutzen unsere Kunden verstärkt digitale Lösungen. Das motiviert uns, den Fokus auf Digitalisierung beizubehalten und insbesondere unsere digital unterstützenden Dienstleistungen zu forcieren. Wir investieren auch in diesen herausfordernden Zeiten weiter in unsere Forschung und Entwicklung, um unseren zukünftigen Erfolg abzusichern.
CV Gerhard Dimmler:
Gerhard Dimmler absolvierte die HTL für Maschinenbau in Wels und studierte an der TU Graz Maschinenbau und Wirtschaft mit der Fachrichtung Mechatronik. 2003 promovierte er zum Dr. techn. Seine berufliche Karriere begann er 2003 bei ENGEL in Schwertberg im Bereich F&E. Nach mehreren Jahren als Assistent der Entwicklungsleiter übernahm er 2010 die Bereichsleitung der Forschung und Entwicklung für Produkte. Seit Herbst 2020 ist er für die globale Forschung und Entwicklung bei ENGEL verantwortlich.
Wie beschreiben Sie Ihre zwölf Jahre als Beiratssprecher im Mechatronik-Cluster?
Es war eine bewegende Zeit. Der Begriff Mechatronik war zum Zeitpunkt meiner Übernahme noch relativ neu und wir mussten über die Sinnhaftigkeit und Vorteile dieses neuen Geschäftsfeldes und Berufes viel Aufklärungsarbeit leisten.
Wie stark hat sich die Branche in diesen Jahren verändert und was waren die einschneidendsten Veränderungen?
In der Branche gab es einen laufenden Veränderungsprozess. Einschneidend war und ist nach wie vor die Verschiebung des Wertschöpfungsanteils von der Mechanik hin zur Elektrotechnik und IT bzw. Digitalisierung.
Worauf sind Sie rückblickend besonders stolz?
Es ist uns im Lauf der Jahre gelungen, den Stellenwert und die Bedeutung der Mechatronik am Markt nicht nur zu etablieren. Mechatronik ist heute ein Begriff, mit dem jeder Techniker etwas anfangen kann. Die Ausbildung sowohl im Lehrlings- als auch im HTL-, Fachhochschul- oder universitären Bereich hat sich zu einem festen Bestandteil etabliert.
Wo wird die Branche in einem Jahr bzw. in zehn Jahren stehen?
Die Branche wird sich dem extrem hohen Tempo der Transformation anpassen und den Veränderungsprozesses Richtung IoT, AI, Smart Solutions, Digitaler Zwilling, Clouds usw. aktiv vorantreiben müssen.
Welche aktuellen Entwicklungen in der Branche haben für Sie das größte Erfolgspotenzial?
Ganz klar die Verknüpfung von smarten Lösungen im Zusammenhang mit einer transparenten Digitalisierungsstrategie! Wir sind in Oberösterreich gut unterwegs, dürfen aber keine Zeit verlieren und müssen das Tempo für neue Entwicklungen im Auge behalten und gezielt erhöhen. Jedoch dürfen wir dabei nicht vergessen: Weniger ist oft mehr.
Was kann der Mechatronik-Cluster noch tun, um oberösterreichische Unternehmen zu unterstützen?
Die Aufklärungsarbeit Richtung Digitalisierung verstärken und noch mehr auf KMU und Start-ups zugehen, um ihnen die Vorteile einer Zusammenarbeit mit renommierten oberösterreichischen Unternehmen zu erläutern.
Wo haben wir Nachholbedarf?
Ich bin überzeugt: Wir sind in Oberösterreich sehr gut unterwegs und haben in den letzten Jahren im Bereich Mechatronik – natürlich auch der MC – sehr gute Arbeit geleistet. Ich denke, wenn wir in Zukunft oben Beschriebenes umsetzen, dann werden wir auch in ein paar Jahren zufrieden zurückblicken können.
Wie geht es Fill in dieser herausfordernden Zeit?
Natürlich sind auch wir wegen COVID-19 nicht ganz unbeschadet durch diese Krise gekommen. Dazu kommt noch, dass die Autoindustrie bereits seit Mitte 2019 schwächelt. Aber wir haben durch unser breites Kunden- und Produktportfolio sowie vor allem unsere laufenden Neu- und Weiterentwicklungen neue Kunden gewinnen können. Zudem sind wir durch unser Krisenmanagement relativ gut aufgestellt und reagieren zum Wohle unseres Unternehmens und unserer Mitarbeiter entsprechend schnell und transparent. Was aber besonders wichtig ist: Wir kommunizieren offen und schnell mit unseren Mitarbeitern, und Partnern. Bis dato konnten wir alle unsere Mitarbeiter halten und das wird auch in nächster Zeit so bleiben. Wir werden 2020 mit einem blauen Auge davonkommen.
Was können Unternehmen tun, um so unbeschadet wie möglich durch die Krise zu kommen?
Anderen Unternehmen aus der Ferne etwas zu empfehlen, ist sehr schwierig und es steht mir auch nicht zu, über unseren MC-report eine Empfehlung abzugeben. Aber eines ist sicher: Je früher ich mich mit eventuellen Krisen beschäftige, desto leichter ist es, damit umzugehen. Offene, ehrliche, laufende und transparente Kommunikation mit Mitarbeitern und Partnern ist auf alle Fälle von großem Vorteil.
Welchen Rat geben Sie Ihrem Nachfolger mit?
Ich werde meinem Nachfolger Gerhard Dimmler keinen Rat geben. Gerhard Dimmler ist ein ausgezeichneter Fachmann und würdiger Beiratssprecher. Er wird mit seiner Expertise und der seiner Beiratskollegen die nächsten Jahre im MC prägen. Wir hatten bisher eine sehr ausgezeichnete Zusammenarbeit und dafür möchte ich mich recht herzlich bei ihm bedanken.
Zum Abschluss möchte ich mich bei meinen Kollegen im Mechatronik Beirat sowie bei allen Mitarbeiter*innen des Mechatronik-Clusters für die jahrelange gute Kollegialität und Zusammenarbeit bedanken. Für die Zukunft wünsche ich alles Gute und viel Erfolg und Gesundheit!
CV Wolfgang Rathner
Wolfgang Rathner begann 1970 als Maschinenbaulehrling. Josef Fill holte ihn 1993 als seinen Stellvertreter in die Geschäftsführung. Seit 2000 führt er mit Andreas Fill das Industrieunternehmen in Gurten. Wolfgang Rathner war an zahlreichen Entwicklungen und Innovationen beteiligt und trug zum Aufstieg des Unternehmens vom kleinen Schlosserbetrieb bis zum international führenden Maschinenbauunternehmen bei. Mit Ende 2020 tritt er nach 50-jähriger Tätigkeit bei Fill den Ruhestand an.