16.09.2021
Service ist alles rund um ein Produkt, das seinen Nutzen steigert oder überhaupt erst ermöglicht. Mit zunehmender Digitalisierung werden bestimmte Funktionen erst freigeschaltet, wenn man dafür extra bezahlt. Wolfgang Steiner, Key Account Manager im Mechatronik-Cluster, Organisator des Forum Service und fachverantwortlich für den Bereich Industrial Services, wagt im Interview einen Ausblick in die Zukunft.
Wie wird sich industrieller Service insgesamt verändern?
Der Service ist die Nutzung der Funktion an sich. Wem das physische „Ding“ gehört, wird immer weniger eine Rolle spielen, aber die Funktion ist für den Nutzer oder den Kunden relevant. Nach und nach wird es daher so sein, dass der Hersteller oder Serviceanbieter seine Geräte durch digitale Anbindung immer im Blick hat, um bei Bedarf rasch eingreifen zu können oder um Optimierungen vorzunehmen. Denn wenn der Hersteller für den Betrieb zuständig ist, ist er an einem möglichst effizienten Betrieb noch mehr interessiert.
Was ist anders zu Vor-Corona-Zeiten? Wurde die Digitalisierung beschleunigt? Und wenn ja, inwiefern?
Jein. Dort, wo sie schon vorhanden war oder zumindest die Konzepte weit ausgereift waren, ging es mit der Pandemie plötzlich viel schneller, die Ideen oder sogar schon Dienstleistungen an den Kunden zu bringen. Wer vor Corona noch keine Konzepte hatte, hatte viel zu tun, um seine Produkte so weit zu bringen. Die globalen Reisebeschränkungen haben aufgezeigt, dass man doch nicht in wenigen Stunden überall auf der Welt sein kann. Der Experte vor Ort war also nicht mehr sichergestellt und man musste sich überlegen, wie man sein Expertenwissen an den Ort des Handelns bringen konnte. Damit wurde sichtbar, dass das Wissen vor Ort wichtig ist – und natürlich teilweise auch geschickte Hände – aber nicht die Person an sich. So wurde die eigentliche Leistung neu beschrieben – das Wissen. Gleichzeitig ist die Frage nach dem Preis aufgetaucht. Es herrscht vielerorts die Meinung vor, online koste nichts. Das lässt sich aber so nicht mehr halten. Die Unternehmen sind gefordert, ihre Leistungen – beispielsweise den Wissenstransfer – monetär zu bewerten.
Bei vielen Unternehmen bricht der Umsatz ein, weil die Techniker nicht mehr zum Kunden kommen und nicht mehr wie früher etwas verkaufen. War die Rolle des Service-Technikers als Verkäufer schon bekannt bzw. welche Maßnahmen sollte man aufgreifen, um hier besser zu werden?
Der Servicetechniker genießt in der Regel ein hohes Vertrauen bei seinen Kunden. Immerhin kommt er oft, wenn es ein Problem gibt, und geht erst wieder, wenn das Problem behoben ist. Er tut sich also oft viel leichter, etwas zu verkaufen, als der eigentliche Verkäufer. Das liegt aber auch daran, dass man weiß, dass der Verkäufer zum Verkaufen kommt – der Servicetechniker verkauft per se nicht, wenn er also etwas anbietet, dann wird das anders bewertet.
Allgemein kann man sagen, dass virtuelle Produkte – also auch Service – im Verkauf gewisse Herausforderungen mit sich bringen. Nach dem Kauf hat man nichts in der Hand außer einen Vertrag. Damit kauft man gewissermaßen die Katze im Sack. Und die besagte Katze kauft man lieber bei jemandem, der ein Experte dafür ist – die „Sofort-Reparatur“ beispielsweise bei dem, der auch tatsächlich reparieren kann, und nicht bei dem, der sagt dass hier jemand kommt.
Unternehmen sollten jetzt aber nicht alle Servicetechniker zum Verkäufer machen, sondern sich überlegen, wer welche Leistungen besser verkaufen kann. Anders gesagt: Welches Produkt ist für welche Zielgruppe durch welche Personen besser oder leichter zu verkaufen?
Alle sprechen nun von datengetriebenem Service. Was verstehen Sie darunter?
Überall dort, wo sie mit Daten von Prozessen, Kunden oder Maschinen eine Leistung ableiten können, sind datengetriebene Services greifbar. Die Herausforderung besteht darin, die richtigen Daten abzugreifen, die wichtigen Daten zu erkennen und nutzbringende Schlüsse daraus zu ziehen. Und natürlich auch die Daten überhaupt vom Kunden zu bekommen, was in vielen Unternehmen immer noch das größte Hindernis ist.
Die Datenübertragung steht auch dem Verkauf der ausschließlichen Funktion einer Anlage oder Maschine im Weg: Denn nur, wenn Daten übertragen werden, ist dieses Geschäftsmodell machbar. Solange sich Unternehmen oder auch nur Teile davon gegen Schnittstellen zum Anlagenbauer wehren, werden immer „nur“ Maschinen verkauft. Damit nehmen sich Kunden aber auch die Chance, immer eine optimierte Maschine am Laufen zu haben.
Datengetriebene Services können aber auch mit etwas Verzögerung oder aus mehreren Quellen getriggert werden. Wer über seine Kunden, seine Produkte und vielleicht auch noch über deren Nutzung Bescheid weiß, der kann auch Geschäftschancen – z. B. für Ersatzteile oder Wartung – generieren.
Vergleichen wir mit dem Smartphone: Hier gibt es im Wesentlichen zwei Anbieter von Betriebssystemen. Apple hat sein Betriebssystem an einen Hersteller gebunden. Wer also mit dem Service zufrieden ist, kauft auch immer bei diesem Hersteller. Der Hersteller des anderen Betriebssystems – Android von Google – verdient nichts mit der Hardware, aber mit den Services und Daten aus der Nutzung.
Verkaufs- und Beratungsgespräche haben wegen der Pandemie nun auch online stattgefunden. Früher undenkbar! Wird uns das bleiben und wo sehen Sie das größte Potenzial für eine onlinebasierte Kundenkommunikation?
Es wird eine Frage der Akteure sein und in welchem Verkaufsstadium man sich befindet – aber die Online-Kommunikation im Sinne von Videokonferenzen wird nicht wieder verschwinden. Das persönliche Erscheinen vor Ort wird mehr ein Ausdruck der Wertschätzung werden, weil es jemand auf sich nimmt, persönlich zu kommen. Auf der Techniker-Ebene wird die Entscheidung remote oder vor Ort mit der zunehmenden Komplexität der Produkte daran hängen, ob vor Ort jemand verfügbar ist, der die notwendigen Aufgaben bewältigt. Es wird also von keiner der beiden Seiten alleine lösbar sein, sondern von Beginn weg nur mit gemeinsamem Handeln.
Kundenbindung „aus der Ferne“: Braucht es ein neues Denken bei „Kundenbindung“ und „Kundenzufriedenheit“?
Die Kundenbindung vielleicht weniger, aber die initiale Beziehung und den Kaufabschluss wird man online nur mit mehr Planung und Einsatz erreichen. „Kaufen“ ist eine emotionale Entscheidung – auch im industriellen Umfeld. Um Kundenbindung und damit auch Kundenzufriedenheit zu erreichen, muss der Kunde erkennen, dass man mit einem Produkt oder der Funktion eines Produkts bei ihm einen Nutzen generieren will. Das geht auch aus der Ferne, z .B. wenn man Optimierungshinweise geben kann. Dazu braucht es allerdings wieder Daten. Es ist also ein Henne-Ei-Problem: Wer mit seinem Kunden verbunden ist, der wird auch eine Kundenbindung erreichen (wenn er will). Wer sich nicht verbindet, wird vermutlich anmerken, dass er keine Tipps bekommt und damit die Anbindung überhaupt in Frage stellen. Für den „entbundenen Kunden“ kann man hier mit Beispielen arbeiten, um ihm zu zeigen, wozu man mit Daten in der Lage wäre, wenn er eine Datenanbindung zulassen würde.
Welche technischen/organisatorischen Veränderungen werden durch Digitalisierung bzw. durch Corona einen regelrechten Boost erleben?
Technisch ist im Wesentlichen das meiste vorhanden; hier muss man mit der Nutzung und der intelligenten Kombination beginnen. Und mit Trainings für die Produkte und Tools. Organisatorisch oder im Geschäftsmodell müssen Veränderungen und ein Umdenken passieren – weil eben beispielsweise nicht mehr der Techniker vor Ort zu bezahlen ist, sondern sein Wissen. Ein guter Mathematiker ist nicht unbedingt ein guter Mathematik-Lehrer – das ist auch bei Technikern so. Daher muss man gezielt in Weiterbildungen investieren, um bestimmte Leistungen anbieten zu können. Sie haben als Kunde nichts davon, wenn am anderen Ende der Leitung jemand sitzt, der weiß wie ein Fehler zu beheben ist, aber es nicht erklären kann. Und auch wenn Kunden (im Moment) nur mit Murren bereit sind, eine Online-Leistung zu bezahlen, werden sie dennoch irgendwann darauf drängen, verschiedene Leistungen online zu konsumieren, weil die Reisekosten zu hoch sind. Dazu kommt noch, dass besonders in Europa mehr und mehr Unternehmen auf ihren ökologischen Fußabdruck achten und auch daher Reisen für Kleinigkeiten vermeiden wollen.
Jemand, der bislang kaum im industriellen Service tätig war: Welche Chance lässt der liegen? Und welchen Tipp für den Anfang geben Sie ihm?
Der Tipp ist einfach: Anfangen! Service hat die größten Margen und damit kann der Anteil am Umsatz schon einmal 30 Prozent oder mehr ausmachen. Dazu kommt dann noch, dass Produkte kopiert werden können – immer schneller und immer ähnlicher. Das kennen wir auch aus dem Privatbereich: Vergleichen Sie Produkte auf Amazon, stellen Sie fest, dass viele sehr ähnlich ausschauen. Beim Service können Sie auch Ähnliches anbieten, aber Service ist erst dann gut, wenn Wissen in Kundennutzen verwandelt wird. Und das lässt sich dann nicht so leicht kopieren. Und mit dem erfüllten Kundennutzen steigt die Kundenzufriedenheit und die Kundenbegeisterung, und die wiederum steigert die Wiederverkaufschance. Wenn der Kunde also Freude bei der Nutzung hat und Sie ihm das Gefühl geben, dass er noch mehr Nutzen erreichen kann, dann kauft er wieder und er bleibt ihr Kunde. Und noch einen Vorteil hat Service: Etwa 70 Prozent aller Innovationen entstehen aus Verbesserungen. Wer seine Kunden nur beim Verkaufsgespräch trifft, erfährt nicht so schnell, was er besser machen könnte. Service ist also auch ein Innovationstreiber.
Das Forum Service beschäftigt sich am 23. September mit der Frage, ob Corona das Service verändert hat.
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