„Spitzenforschung soll auch Massenanwendungen im Fokus haben, damit Klimaziele erreicht werden können“

Gerd Bramerdorfer, Vorstand Institut für Elektrische Antriebe und Leistungselektronik, JKU © JKU
Gerd Bramerdorfer, Vorstand Institut für Elektrische Antriebe und Leistungselektronik, JKU © JKU

04.04.2024

Der Fachbereich Mechatronik an der JKU vollzieht seit einigen Semestern einen Generationenwechsel. Der MC-report stellt die neuen Professor:innen laufend vor. Diesmal sprachen wir mit Gerd Bramerdorfer, Vorstand des Instituts für Elektrische Antriebe und Leistungselektronik, über seine Forschungsarbeit und die Antriebe der Zukunft. 

Bei elektrischen Antrieben denken die meisten heute zuerst an Mobilität. Wofür brauchen wir elektrische Antriebe aber sonst noch? 

Elektrische Antriebe sind allgegenwärtig, zig Motoren befinden sich in jedem Haushalt. Neben dem elektrischen Traktionsantrieb sind im Pkw viele weitere Motoren verbaut, die die Fortbewegung erleichtern sowie das Fahrerlebnis sicherer und angenehmer machen. Elektrische Maschinen gibt es für Anwendungen mit kleinsten Leistungen bis hin zu Generatoren im Megawattbereich. Jedes Jahr werden Milliarden an neuen Maschinen gefertigt und in Betrieb genommen. Allein der zahlenmäßig größte Hersteller aus Japan produziert zehnmal mehr Motoren pro Jahr als im selben Zeitraum weltweit Menschen geboren werden, nämlich 1,4 Milliarden Stück. Zirka 50 Prozent der benötigten elektrischen Energie in der Europäischen Union wird zum Betreiben elektrischer Maschinen verwendet. 

Elektrische Antriebe sind ja nicht ganz neu. Worum geht es bei Ihrer Forschung aktuell und wie hilft uns bzw. der Wirtschaft, der Industrie das in Zukunft? 

Der Beginn der Erforschung elektrischer Antriebe datiert zirka 200 Jahre zurück. Trotz allem können wir kontinuierlich signifikante Fortschritte erzielen. Einerseits werden neue Entdeckungen durch externe Verbesserungen getriggert, zum Beispiel durch verbesserte Materialien, neue Rechen-, Modellierungs- und Optimierungsverfahren oder Fortschritte bei der Herstellung, wie beispielsweise durch Additive Manufacturing. Wir entwickeln aber auch laufend neuartige Maschinentopologien und Funktionsweisen für elektrische Maschinen. Beispiele sind magnetgelagerte Antriebe und Magnetgetriebemotoren. Bei Letzteren wird die Getriebefunktion kontaktfrei mit Magnetfeldern realisiert. Das führt oft zu einem verbesserten Wirkungsgrad und einer gesteigerten Kompaktheit. 

Außerdem beleuchten wir aktuell neuartige Maschinentopologien, bei denen während des Betriebs lastpunktabhängig die eingesetzten Magnete gezielt auf- oder entmagnetisiert werden, was einen besseren Gesamtwirkungsgrad zur Folge hätte. Unsere Forschung ermöglicht eine Kostenreduktion durch Antriebe mit verringertem Ressourcenbedarf und gesteigerter Robustheit, sodass diese unempfindlicher gegenüber prozessbedingten Toleranzen bei der Herstellung sind und somit weniger Ausschuss entsteht. Außerdem können wir die Produktivität, zum Beispiel durch Drehzahlsteigerungen jenseits der 100.000 Umdrehungen pro Minute, signifikant erhöhen. Kurz gesagt: Wir arbeiten an Antrieben, mit denen die Industriepartner eine Freude haben. 

Durch die Fortschritte bei der Steigerung der Leistungsdichte und das dadurch geringere Gewicht können wir neue Anwendungsfelder wie die Luftfahrt erschließen. Außerdem denken wir aktuell Antriebe von Grund auf neu, um neben dem Erreichen exzellenter technischer Performanz diese ökologisch und sozial verträglich zu gestalten. 

Wie können elektrische Antriebe sozial verträglich sein? 

Viele elektrische Maschinen beinhalten Magnete höchster Energiedichte. Die dafür benötigten seltenen Erden werden oft unter menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut. Seltene Erden kommen auch meist in Verbindung mit Radioaktivität vor. Hier braucht es Schutz für die Gesundheit der Arbeiter:innen. Daher haben wir ein Projektvorhaben bestehend aus vier Forschungsteams inklusive Soziolog:innen definiert. Unsere Ziele sind, interdisziplinär gemeinsam neue Magnetmaterialien zu entwickeln, Antriebe von Grund auf neu zu denken und dabei simultan ökologische und soziale Aspekte zu berücksichtigen. Die Betrachtung dieses Zusammenspiels von Beginn der Neuentwicklung an ist dabei essenziell. 

An welchen Forschungsprojekten mit Industriepartnern arbeiten Sie derzeit? 

Neben den bereits erwähnten Schwerpunkten haben aktuelle Projekte beispielsweise die Minimierung des Ressourceneinsatzes zum Ziel, speziell von seltenen Erden. Wir arbeiten auch gerade verstärkt an Möglichkeiten zur Zustandsüberwachung von elektrischen Maschinen während des Betriebs, wobei hier keine zusätzlichen Sensoren benötigt werden. Das Ergebnis werden Digitale Zwillinge sein, die allerdings nicht nur ein Modell des Regelfalls darstellen, sondern auch Informationen zu atypischen Betriebsweisen wie Fehlerfällen und deren Ursachen umfassen. Ein weiterer Schwerpunkt sind smartere Produktionsprozesse. Die Qualitätsanforderungen bezüglich Materialeigenschaften und Form- und Lagetoleranzen werden nur so streng wie nötig unter Berücksichtigung des zulässigen Ausschusses eingestellt. Somit können die Produktionskosten minimiert werden. Außerdem arbeiten wir an Hochgeschwindigkeitsantrieben zur Steigerung der Produktivität industrieller Prozesse. Gemeinsam mit einem Industriepartner haben wir beispielsweise einen Antrieb umgesetzt, bei dem sich der Rotor mit mehr als 200.000 Umdrehungen pro Minute dreht. 

2022 wurden Sie von der EU mit dem renommierten ERC Starting Grant ausgezeichnet. Für welche Forschungsarbeit? 

Mit einem Budget von 1,5 Millionen Euro arbeiten wir mit einem siebenköpfigen Team an elektrischen Maschinen, die inhärent, also ohne zusätzliche Komponenten, drehzahlabhängig ihre Eigenschaften verändern und sich somit den Umgebungsbedingungen anpassen. Der Projektname „Charmaeleon“ wurde daher an das Chamäleon angelehnt. Erreichen wir die gesteckten Ziele, so schaffen wir gleichzeitig höhere Wirkungsgrade bei reduziertem Materialeinsatz. Das Besondere an der Idee ist es, dass das Konzept für nahezu jede Maschinenart eingesetzt werden kann. Daher bietet es sowohl Potenzial zur signifikanten Verbesserung von High-Performance-Antrieben als auch von elektrischen Maschinen für Massenanwendungen. Es braucht klarerweise beides, damit wir einerseits neue Anwendungsfelder wie elektrifiziertes Fliegen erschließen und andererseits die Milliarden Antriebe auf der Erde effizienter machen und damit einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Klimaziele leisten. Der Begriff High-Performance gehört also gedanklich erweitert, um nicht nur technische Fortschritte, sondern auch ökologischere und sozial verträglichere Lösungen zu fördern. Spitzenforschung soll also auch Massenanwendungen im Fokus haben, damit Klimaziele erreicht werden können. 

Ihr Institut hat eine Reihe von technischen Innovationen und Patenten für Antriebssysteme hervorgebracht. Welche sind das und in welchen Produkten sind sie verbaut? 

Wir haben beispielsweise neue vielversprechende Konzepte für magnetgelagerte Systeme entwickelt, die bereits von Firmenpartnern in der Textilbranche oder in der Halbleiterindustrie eingesetzt werden. Außerdem gelangen uns Innovationen bei permanentmagneterregten Synchronmaschinen kleinerer Leistung, die man zum Beispiel im Automotivebereich verwendet. 

Ihr Institut arbeitet auch im K2-Zentrum „Symbiotic Mechatronics“ mit. Welche Forschungsarbeit leisten Sie hier konkret? 

Das K2-Zentrum wird vom Linz Center of Mechatronics koordiniert. Unser Institut entwickelt hier gemeinsam mit weiteren wissenschaftlichen Partnern und Firmen elektrische Antriebe von morgen beziehungsweise übermorgen in einem mechatronischen Kontext. Das Spannende dabei ist die sehr bereichernde interdisziplinäre Zusammenarbeit, durch die wir vollkommen neue Sichtweisen entwickeln. „Symbiotic“ bezieht sich darauf, dass das mechatronische System mit seiner Umgebung in einer positiven Wechselwirkung steht, zum Beispiel bezüglich des zeitabhängigen Energieaustausches oder der Beanspruchung des mechatronischen Systems und damit verbundener Komponenten. 

Welche Herausforderungen sind beim Optimieren von elektrischen Antriebssystemen zu meistern? 

Es müssen bei der Optimierung eine Vielzahl von Zielgrößen berücksichtigt werden wie Wirkungsgrad, Laufruhe, Kosten und auch meist Bauraumanforderungen. Zusätzlich umfasst ein Antrieb verschiedene Systeme wie die Leistungselektronik, Sensorik und die elektrische Maschine. Es müssen außerdem noch verschiedene physikalische Domänen betrachtet werden, um etwa das elektromagnetische, thermische und mechanische Verhalten beschreiben zu können. Nur wer einen problemspezifischen holistischen mechatronischen Modellierungsansatz wählt, hat letztlich die Chance, die bestmögliche Lösung zu finden. 

Welche Antriebssysteme werden sich für welchen Zweck durchsetzen und was könnte Ihrer Meinung nach noch kommen, woran wir heute vielleicht noch gar nicht denken? 

Nachdem die Anwendungen hinsichtlich Ihrer Anforderungen unterschiedlicher nicht sein könnten, z. B. bezogen auf die Drehzahl, die Leistung, den Bauraum, die Kosten und die erforderliche Lebensdauer und Betriebsweise, wird sich sicher nie ein einziges Antriebssystem als Universallösung durchsetzen. Selbst in einem spezifischen Anwendungsfeld können Entwicklungen dazu führen, dass plötzlich ein davor nicht beachteter Antriebstyp an Attraktivität gewinnt. Zusätzlich ist die zu entwickelnde Lösung auch davon abhängig, auf welche Zielgrößen man den Schwerpunkt legt. Das erkennt man gerade in der Elektromobilitätsbranche, wo für den Traktionsantrieb Asynchronmaschinen, permanentmagneterregte Synchronmaschinen oder auch Maschinen mit Erregerwicklung am Rotor eingesetzt werden und sogar die geschaltete Reluktanzmaschine vereinzelt angedacht wird. Das macht die Arbeit so spannend, weil der Lösungsraum sehr umfassend ist und dynamisch erweitert wird.  

Überlegungen für die Zukunft umfassen Systeme mit kollaborativen Mehrfachantrieben für erhöhte Ausfallssicherheit und noch effizientere Ressourcennutzung. Außerdem wird die Interaktion des Antriebs mit seiner Umgebung betrachtet. Dabei werden Möglichkeiten der Kommunikation, beispielsweise in akustischer Form mit Menschen, untersucht. Recycling und Wiederverwendbarkeit beziehungsweise allgemein ökosoziale Aspekte werden bei Neuentwicklungen noch stärker in den Vordergrund treten. Vielleicht gelingt es uns ja langfristig, einen biologisch abbaubaren Antrieb zu entwickeln. Man sollte sich in der Grundlagenforschung auf jeden Fall keine kreativen Grenzen setzen. 

Zur Person 

Gerd Bramerdorfer studierte Mechatronik an der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz, wo er 2014 promovierte und sich 2021 habilitierte. Seit 1. März 2023 leitet er das Institut für Elektrische Antriebe und Leistungselektronik an der JKU. Er ist Area Koordinator des K2 COMET Centers der Linz Center of Mechatronics GmbH und erhielt 2022 einen ERC Starting Grant zur Erforschung elektrischer Maschinen mit inhärent drehzahlabhängigen Eigenschaften. Gerd Bramerdorfer absolvierte Forschungsaufenthalte an weltweit führenden Universitäten in den USA und in Italien und hielt Vorträge in den USA (MIT, Columbia University, University of Wisconsin), Chile und Südkorea. Er ist Senior Member des IEEE und Associate Editor für die IEEE Transactions on Energy Conversion. Bramerdorfer verfasste mehr als 130 Publikationen, sein h-Index ist 25 (Google Scholar). Im internationalen Ranking von Elsevier, SciTech Strategies Inc. und Stanford wurde Gerd Bramerdorfer 2023 unter weltweit mehr als 100.000 Forschern in den Top 0,6 % gelistet.