11.11.2022
Das Geschäftsmodell „Remanufacturing“ basiert auf einer industriellen Aufbereitung von Produkten in „Qualität wie neu“. Es steigert die Wettbewerbsfähigkeit durch verbesserte Kostenstruktur, Lieferkettenresilienz und Kundenbindung bei radikal verminderter Umweltwirkung.
Remanufacturing, Refabrikation oder Wiederproduktion ist eine langfristige und dienstleistungsorientierte Geschäftsstrategie, die Kundenzufriedenheit, Wettbewerbsfähigkeit von Qualitätsprodukten und minimierten Produktfußabdruck so integriert, dass Zielkonflikte weitgehend vermieden werden. Erfolgreiche Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes konnten ihre Markt- und Innovationsführerschaft dank eines Remanufacturing-Geschäftsmodells ausbauen oder überhaupt erst erreichen.
Abbildung 1 zeigt Firmen, die bereits erfolgreiche Remanufacturing-Hersteller sind. Das Caterpillar-Reman-Programm ermöglicht den Verkauf von Baumaschinen in „Qualität wie neu“ – im Vergleich zur Neuproduktion mit 60 Prozent weniger Kosten und 85 Prozent reduziertem Materialeinsatz. Mit „Rotation for Life“ bietet der Wälzlagerhersteller SKF ein Service an, das die Lager kontinuierlich überwacht, rechtzeitig entnimmt und dann für ein neues Leben auf die ursprüngliche Spezifikation aufbereitet. Rosenbauers Refurbishment-Programm ermöglicht Kunden, ihr Feuerwehrfahrzeug auf den neuesten technologischen Stand zu bringen. Das Beispiel Messsonden von Lorenz Messtechnik zeigt, dass Remanufacturing auch für kleine, günstige Produktklassen kommerziell erfolgreich ist. Selbst im Consumer Bereich gibt es Bewegung: In Renaults „Refactory“ werden Autos vollständig aufbereitet und künftig sogar mit elektrischen Antrieben upgegradet.
Die Wettbewerbsvorteile dieser Remanufacturing-Geschäftsmodelle sind finanzieller und nicht-finanzieller Natur:
Das Risiko gestörter und verzögerter Lieferketten aufgrund von geopolitischen Konflikten, Kriegen und Pandemiemaßnahmen hat wesentlich zugenommen. Remanufacturing bietet einen alternativen Lieferpfad durch Retrologistik mit deutlich verkürzten Lieferzeiten.
Die Refabrikation von Produkten kommt mit einem geringen Bedarf an Neumaterialien bzw. Vorprodukten aus und kostet, trotz des notwendigen Arbeitseinsatzes, nur einen Bruchteil der Neuproduktion. Durch die bessere Kostenstruktur können Reman-Produkte bei gleicher Qualität günstiger im Markt angeboten werden.
Durch finanzielle Anreize zur Produktrückgabe (Pfand, Preisnachlass) besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, einen Folgekauf abschließen zu können. Kundenprobleme werden im One-Stop-Shop ganzheitlicher gelöst (z. B. Entsorgung von Altprodukten), Wahlmöglichkeiten des Kunden werden erhöht (neu vs. wie neu). Bei der kundenindividuellen Refabrikation erhalten Kunden ihr eigenes Produkt in aufbereiteter Form zurück, sodass Aufwände bei der Anschaffung neuer Produkttypen (z. B. Schulung) entfallen.
Die vorteilhafte Kostenstruktur von „Qualität wie neu“ kann in etablierten Märkten Billiganbieter zurückdrängen und den Markteintritt in Entwicklungsländern ermöglichen.
Die Möglichkeit zur (Fehler-)Analyse von Produkten nach ihrem Einsatz führt nicht nur zu kontinuierlicher Verbesserung, sondern auch zu Impulsen für neue Produkte und Dienstleistungen. So führte SKF ein Schmiermittelmanagement-Service zur Lebensdauerverlängerung ein.
Im Vergleich zu eher inkrementellen Effizienzansätzen (z. B. Materialeinsparung) erreicht Remanufacturing radikale Ressourcen-Einsparungen von bis zu 85 Prozent. Insgesamt reduziert Remanufacturing Zielkonflikte im magischen Dreieck Qualität, Kosten und Zeit.
Der produktionsnahe und arbeitsintensive Prozess entfaltet sich von Rückführung bis Redistribution in fünf wesentlichen Schritten (Abb. 2). Diese industrielle Aufbereitung gebrauchter Produkte ermöglicht deren Wiederherstellung in „Qualität wie neu“ oder sogar besser (z. B. Schienen). Auch kann die Spezifikation an aktuelle Bedarfe angepasst werden oder mit technologischem Upgrading aktuelle Standards erfüllt werden (z. B. Feuerwehrfahrzeug). Der Vertrieb refabrizierter Produkte unterscheidet sich damit sowohl operativ als auch strategisch wesentlich von der wenig akzeptierten Gebrauchtgütervermarktung bzw. Gütern, die im Sinne eines „Refurbishing“ nur geringfügig aufbereitet wurden, da die verminderte Qualität Kundenbedürfnisse nicht immer erfüllt. Damit ermöglicht Reman eine echte zirkuläre Wertschöpfung, bei der Produkte möglichst dauerhaft in der Nutzung verbleiben. Selbst wenn die Funktionalität nicht mehr wiederhergestellt werden kann, können die Materialien vom Anbieter in einem geschlossenen Recycling-Kreislauf geführt werden und Primärrohstoffe bei der Neuproduktion ersetzen.
Remanufacturing kann nur dann erfolgreich sein, wenn es von der Unternehmensleitung strategisch in allen Komponenten des Geschäftsmodells verankert wird. Ohne die konsequente Entwicklung neuer Kompetenzen ist ein Scheitern vorprogrammiert. Es braucht neue organisationale Fähigkeiten:
Remanufacturing-Werke mit geschultem Personal müssen auf regionaler Ebene aufgebaut werden, um Transportaufwände (Rückführung, Wiederauslieferung) und Lieferzeiten zu minimieren. Refabrikation ersetzt partiell die Neuproduktion (oft in Übersee) und schafft regionale produktionsnahe Arbeitsplätze.
Meistens scheitert Reman an der fehlenden Rückgabe der Produkte. Finanzielle Anreize für Kunden incentivieren die Rückgabe oder Hersteller behalten das Eigentum durch dienstleistungsbasierte Bereitstellung. Retro-Logistikprozesse müssen gestaltet werden, oft mit spezialisierten Dienstleistern.
Hersteller können Condition Monitoring der Produkte bzw. Komponenten aufbauen, um diese zum optimalen Zeitpunkt beim Kunden zu entnehmen bzw. auszutauschen. Ist der Produktzustand zu schlecht, ist Remanufacturing nicht mehr ökonomisch oder technisch realisierbar.
Bei der Entwicklung neuer Produkte muss frühzeitig Modularisierung, Reparierbarkeit und Recyclingfähigkeit verfolgt werden (Design-for-X), bestehende Produkte erhalten ein Redesign. Für ein digitales Monitoring benötigt das Produkt digitale Produktfähigkeiten (z. B. Sensoren).
Dienstleistungsgeschäftsmodelle wie Leasing lösen durch den Eigentumsverbleib beim Hersteller die Herausforderung der kundenseitigen Unsicherheit über die Qualität aufbereiteter Produkte und deren Rückführung am Nutzungsende. Pay-per-Performance-Modelle harmonisieren die Anreize von Hersteller und Kunden und ermöglichen durch eine enge Kooperation die Reduktion der Total Cost of Ownership.
Über den Gastautor
Erik Hansen erforscht Innovation und Qualität im Kontext der Kreislaufwirtschaft. Er leitet das Institute for Integrated Quality Design (IQD) an der Johannes Kepler Universität Linz. Dieses forscht und lehrt zu nachhaltigkeits- und kreislauforientierten Innovationen auf den Ebenen Produkt, Produkt-Service-System und Geschäftsmodell sowie deren Wechselwirkungen mit Qualitätsmanagement- und Zertifizierungssystemen.
Literaturverzeichnis