„KMU benötigen Zugang zu leistbaren Automationstechnologien“

Der Roboter bringt die Fugenmasse auf Bootsdecks auf. © PROFACTOR
Der Roboter bringt die Fugenmasse auf Bootsdecks auf. © PROFACTOR
„Mitarbeiter sind inzwischen froh, wenn sie eine physische Unterstützung beim Heben und Bearbeiten bekommen.“ Andreas Pichler, CTO PROFACTOR GmbH © PROFACTOR
„Mitarbeiter sind inzwischen froh, wenn sie eine physische Unterstützung beim Heben und Bearbeiten bekommen.“ Andreas Pichler, CTO PROFACTOR GmbH © PROFACTOR
Roboterunterstütztes Schweißen © PROFACTOR
Roboterunterstütztes Schweißen © PROFACTOR
Hier unterstützt ein kollaborativer Roboter das Polieren. © PROFACTOR
Hier unterstützt ein kollaborativer Roboter das Polieren. © PROFACTOR
„Wir betreiben angewandte Produktionsforschung und stehen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft.“ Christoph Breitschopf, CEO PROFACTOR GmbH © PROFACTOR
„Wir betreiben angewandte Produktionsforschung und stehen an der Schnittstelle von Wissenschaft und Wirtschaft.“ Christoph Breitschopf, CEO PROFACTOR GmbH © PROFACTOR

30.10.2024

PROFACTOR ist ein außeruniversitäres Forschungsunternehmen mit Standorten in Steyr und Wien. Das Team betreibt angewandte Produktionsforschung mit zwei Schwerpunkten, einer davon ist „Industrielle Automatisierungssysteme“. CEO Christoph Breitschopf und CTO Andreas Pichler erzählen von ihrer Forschungstätigkeit. 

An welchen Themen arbeitet PROFACTOR im Schwerpunkt „Industrielle Automatisierungssysteme“ aktuell? 

Unser Schwerpunkt liegt auf Technologien und Methoden zur Automation von kleinsten Losgrößen bis hin zum Unikatprodukt. Hier erfolgen Entwicklungen und Erprobungen für verschiedenste, auch KMU-typische, Anwendungen für die High-Mix/Low-Volume-Fertigung in den Gebieten sensitive Robotik, intelligente 2D/3D-Bilderkennung, interaktive Bedieninterfaces, halbautomatische Roboterbahnerzeugung sowie KI-unterstützte Situationserfassung. Ziel dabei ist, die Auftragseingabe für On-Demand-Anwendungen in der Holz-, Metall- und Kunststoffverarbeitung zeitlich zu minimieren und extrem zu vereinfachen. Das soll den Maschinennutzungsgrad und die Produktivität durch den Einsatz von Assistenzrobotern weiter verbessern. 

Welche Lösungen konnten Sie bisher in die Wirtschaft bzw. Industrie transferieren? 

Seit 2013 haben wir mehrere Entwicklungsprojekte und Pilotsysteme für Qualitätssicherung, Montage sowie Materialauftrag und Handling erprobt bzw. umgesetzt. Der Fokus lag auf dem Einsatz kollaborativer Lösungen in Kombination mit Kamerasystemen zur Teilelageerfassung und automatischer Pfaderzeugung für den Roboter. Kunden kommen aus der Automotive- und Aerospace-Branche – OEMs, Zulieferer und KMU – sowie der Holzverarbeitung. Beispiele aus der Automotive-Branche sind ein kollaborativer Inspektionsroboter für Steckverbindungen, ein kollaborativer Schraubroboter für Getriebekomponenten oder Pilotanlagen mit einem kollaborativen Handlingroboter für das Anreichen von Baugruppen am Montageband sowie mit einem Hochleistungsinspektionsroboter für Gussteile. Für Holzverarbeiter haben wir Roboter entwickelt, die Holzelemente ölen und verfugen. 

Was sind die aktuellen Trends in der Robotik? 

Der Personalmangel gilt in vielen Bereichen der Produktion als zunehmende Herausforderung für Unternehmen. Es stellt sich nicht mehr die Frage, ob automatisiert wird, sondern nur mehr wann bzw. ob es finanzierbar ist. Die Trends sind je nach Branche unterschiedlich. Luftfahrt, Automotive und Healthcare evaluieren schon länger den Einsatz von humanoiden Robotern der zweiten Generation mit KI-Funktionen. Bei KMU ist die Einführung von klassischen Cobots – jetzt auch mit größeren Traglasten und Reichweiten – erst in den vergangenen Jahren richtig angelaufen. Aus Sicht des Anlagenbaus und der Ausrüster bestehen nach wie vor erhebliche Herausforderungen an die Einsatzfähigkeit. Humanoide Systeme erfordern neue, multimodale Interaktionsmethoden (Sprache, Geste etc.), während Industrieroboter und Cobots in den Handwerksbetrieben sowohl monotone als auch feinfühlige Tätigkeiten unterstützen oder vollständig übernehmen sollen. Dazu ist neben geeigneten Werkzeugen und einer möglichst einfachen Bedienung eine digitale Planung von Prozessen und Aufträgen nötig. In allen Fällen ist die Art und Weise, wie ein Automationssystem Aufträge vom Menschen bekommt, entscheidend für den Erfolg. 

An welchen Anwendungen abseits von industrieller Produktion arbeiten Sie? 

Wir transferieren beispielsweise Lösungen in die Baubranche, in der das Automatisierungspotenzial sehr groß ist, um die Effizienz zu steigern, Sicherheit zu verbessern und Kosten zu senken, etwa bei der optimalen Verteilung von Arbeitsaufgaben. Von Assistenzsystemen unterstützte Robotiklösungen werden z. B. in der Textilindustrie (Sortieren, Erkennen, Trennen) oder im Recycling von Stahlschrott angedacht. PROFACTOR setzt Technologien in ausgewählten Projekten der Rehabilitation ein, z. B. für die Ganganalyse oder im Sportbereich, wo Robotersysteme Sportler beim Trainieren unterstützen und motivieren. 

Früher hatten alle Angst davor, dass uns Roboter die Arbeit wegnehmen. Heute werden sie von vielen als Teil der Lösung für den Fachkräftemangel gesehen. Wie stehen Sie dazu? 

Mitarbeiter:innen mit Aufgaben aus dem Bereich der drei Ds – dull, dirty, dangerous – sind inzwischen froh, wenn sie eine physische Unterstützung insbesondere beim Heben und Bearbeiten bekommen. Das hilft, Krankenstände zu verringern und die Qualität von Arbeitsplätzen zu steigern – ein wichtiger Aspekt beim Employer Branding. Auch im Hinblick auf die Arbeitsinhalte unterstützt der Robotereinsatz einen Wandel: weg von der Ausführung hin zur Beauftragung, Überwachung und Anpassung. Das erfordert aber auch mehr Auseinandersetzung mit Automationstechnologien und ihren Grenzen. Die neuen Robotersysteme ermöglichen Unternehmen schon heute, selbst Hand anzulegen und in die Automation als DIY-Projekt einzusteigen. Die dabei aufgebaute Expertise erlaubt eine raschere Reaktion auf veränderte Marktumstände. Darüber hinaus entstehen neue attraktive Arbeitsplätze im Innovationsbereich – auch in kleineren Unternehmen. 

Wie sieht Ihre strategische Ausrichtung in den nächsten Jahren aus? 

In der Robotik liegt der Fokus auf der Entwicklung und Erprobung neuartiger Interaktionsmethoden und Funktionen zur raschen intuitiven Auftragserzeugung für kleinste Lose sowie Unikatprodukte und -prozesse. Hier berücksichtigen wir neben Lösungen für mittlere und große Unternehmen insbesondere Anforderungen der KMU. Sie benötigen raschen Zugang zu leistbaren Automatisierungstechnologien, die sie selbst adaptieren können. Daher setzen wir verstärkt auf die Entwicklung von Individuallösungen, da dieser Markt für Serienhersteller aufgrund der beschränkten Größe nicht attraktiv ist. Dafür braucht es verstärkte F&E-Aktivitäten sowie Forschungskooperationen auf nationaler und internationaler Ebene, um neue Technologien und Methoden im Kontext von Industrie 5.0 zu erproben und deren Transfer zu den Unternehmen vorzubereiten bzw. durchzuführen. 

Wesentliche Themenfelder dabei sind: 

  • Einsatz von KI-Methoden zur robusten Erfassung von Produkten, Personen und Situationen zur Erweiterung der kognitiven Fähigkeiten von Roboteranwendungen 

  • Weiterentwicklung von automatischen Prozesserzeugungsmethoden zur Flexibilisierung von Abläufen 

  • Vereinfachung von Mensch-Roboter-Interaktionsmethoden zur Beschleunigung des Einsatzes von robotischen Assistenzsystemen in der Produktion 

  • Untersuchung und Erprobung des Einsatzes von mobilen und humanoiden Roboterkonzepten im Produktionsumfeld mit dem Ziel der Verringerung des ökologischen Footprints von Automationslösungen