06.11.2023
Wer Service ganzheitlich denkt, kommt schnell zu dem Schluss: Service muss von der Idee bis zum End-of-Life mitgedacht und mitgemacht werden. Wir haben zwei Experten zum Interview geladen, die mit ihrem Zugang Vorbild für Viele sein könnten: Alexander Raschendorfer, Director Professional Services bei EPLAN, und Wolfgang Farnady, Managing Director Industrial Quality Solutions bei Zeiss Industrielle Messtechnik.
Was verstehen Sie unter Industriellem Service und wofür wird er gebraucht?
Raschendorfer: Ein industrieller Service ist eine Leistung, die ein auf Service spezialisiertes Unternehmen für ein anderes Unternehmen, das Maschinen und Anlagen hat, erbringt. Entscheidend hierbei ist es, dass das Unternehmen, das sich um den Service kümmert, Unterlagen zur Verfügung hat, die diese Arbeit einfach und schnell ermöglichen. Hierfür bietet EPLAN auch spezialisierte Schulungen für Instandhaltungs- und Betriebstechnikpersonal an, um eine effiziente Arbeitsweise mit unserer Software zu erlenen.
Farnady: Ich würde es eher als Industrie-Service bezeichnen. Unter Industrie-Service versteht man Dienstleistungen an Industrieanlagen mit dem Ziel, das teuerste aller Szenarien – ungeplante Stillstände – zu verhindern und die Zuverlässigkeit der Geräte möglichst lange auf hohem Niveau zu halten. Darüber hinaus durch Modernisierungen die Leistungsfähigkeit der Anlagen während der Laufzeit zu steigern.
Service gilt als der Nachhaltigkeitsfaktor schlechthin, denn was gut gewartet ist, bleibt länger in Betrieb. Wo fängt Nachhaltigkeit im Service in Ihren Unternehmen an?
Raschendorfer: Nachhaltigkeit beginnt bereits beim Erstellen von Stromlaufplänen für Maschinen und Anlagen. Ein Elektroplan hat schnell 300 Seiten und mehr, er sollte also so aufgebaut sein, dass ein Servicetechniker später beim Warten auch den Überblick behalten kann. Je besser ein Elektroplan strukturiert ist, desto eher wirkt sich das positiv auf den Lebenszyklus von Schaltschränken aus. Dies wiederum erleichtert die Fehlersuche und den Austausch einzelner Komponenten und spart infolge nicht nur Zeit bei der Instandhaltung, sondern auch Kosten für Reparaturen und den Ersatz der Geräte. Aber auch außerhalb des Schaltschrankes bieten wir mit EPLAN Harness proD eine Lösung an, mit der Kunden beispielsweise die Maschinenverkabelung besser planen können und so weniger Materialüberschuss anfällt. Das senkt nicht nur die Kosten, sondern schont auch die Umwelt.
Farnady: Bei ZEISS fängt Nachhaltigkeit bei der Produktion an und setzt sich direkt nach der Installation der Anlage fort. Ausgeklügelte Wartungskonzepte, die Servicearbeiten an den Geräten planbar machen und deren Performance und Zuverlässigkeit erhalten, sind der erste Schritt. Sollte doch ein Serviceeinsatz notwendig sein, kann das immer öfter remote erfolgen. Das spart unseren Kunden Geld, reduziert Fahrkilometer der Techniker und kann Wiederherstellungszeiten deutlich verkürzen. Sind die Geräte schon älter, können Upgrade-Pakete diese Anlagen wieder nahe an die Leistungsfähigkeit der aktuellen Gerätegeneration bringen und die Kompatibilität mit Sensoren der neuesten Generation herstellen. Und das zu einem Drittel der Investition im Vergleich zu einem Neugerät. Das bedeutet auch enorme Einsparung von Ressourcen für die Herstellung gegenüber einer kompletten Neuanschaffung. Viele unserer Anlagen sind so 30 und mehr Jahre in Betrieb.
Der Fokus unserer Upgrades liegt vor allem auf Leistungssteigerung, Energieeinsparung und Sicherheit. Gerade das Thema Sicherheit wird oft vernachlässigt. Sie muss immer dem aktuellen Stand der Vorgaben entsprechen. Es reicht nicht aus, wenn die Anlage den geltenden Sicherheitsanforderungen zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme entsprochen hat. Großes Potenzial liegt auch in der Energieeinsparung. Beispielsweise kann mit unserer neuesten Steuerungstechnik der Energieverbrauch der Anlagen um bis zu 75 % gesenkt werden. Die meisten Messgeräte benötigen außerdem Druckluft. Deshalb enthält das Upgrade-Kit den AirSaver, der nochmal Einsparungen von mehreren Tausend Euro im Jahr ermöglicht, indem er die Luftzufuhr unterbricht, wenn sie nicht gebraucht wird. Denn Luft ist zwar kostenlos, aber die Erzeugung von Druckluft nicht.
Wie begegnet EPLAN dem allgegenwärtigen Fachkräftemangel im Servicebereich?
Raschendorfer: EPLAN begegnet diesem Thema mit einem Fokus auf Automated Engineering, also der automatisierten Erstellung von Schaltplänen einerseits, und andererseits mittels der Cloud-Strategie, eine Vielzahl an Anwendungen, die kollaboratives und verteiltes Arbeiten ermöglichen. Durch das Generieren von Schaltplänen anstatt des Zeichnens und Kopierens kann die benötigte Zeit in der Elektrokonstruktion massiv reduziert werden. So ist es möglich, trotz Personalmangels einen gleichen oder höheren Output zu generieren. Speziell im Servicebereich erfreut sich die gratis zur Verfügung stehende Cloud APP eView großer Beliebtheit. Mittels eView können Instandhalter per Tablet am Schaltschrank den Stromlaufplan einsehen, alle Infos zu den Geräten und Verlegewegen im Schaltschank abrufen und auch gleich Kommentare in den Schaltplan einpflegen. So können neben Red- und Greenlinings auch beliebige Texte und Fotos hinzugefügt werden, die dann in Echtzeit der Konstrukteur auf seinem Arbeitsplatz in EPLAN P8 sehen und weiterbearbeiten kann.
EPLAN denkt Service von Beginn an mit. Welche positiven Effekte hat das bzw. welche überraschen ihre Kunden am meisten?
Raschendorfer: Wir denken den Schaltplan nicht nur bis zur Installation einer Anlage, sondern wir denken vielmehr in Lösungen für die gesamte Wertschöpfungskette. Unser Schwesterunternehmen RITTAL bietet etwa mit ePocket einen QR-Code auf ihren Schaltschränken an, mit dem man direkt zum Schaltplan kommt, den EPLAN erstellt hat. Das ist nur ein Beispiel für unsere kundennahen Lösungen. Auch das EPLAN Data Portal überrascht Kunden immer wieder. Inzwischen gibt es mehr als 1,5 Millionen Artikel online und gratis zum Download. Dies ermöglich Servicemitarbeitern einen einfachen Austausch von Komponenten. Ist etwa ein Gerät kaputt und muss ersetzt werden, die Type ist aber nicht mehr lieferfähig, stehen im Data Portal die passenden Nachfolgeartikel bereits parat. Dies erleichtert es einem Mitarbeiter, alte Pläne aktuell zu halten, ohne wertvolle Zeit mit der Stammdatenaufbereitung zu vergeuden.
Service bedeutet auch, dass Bestandsgeräte fallweise mit neuen Funktionen ausgestattet werden und Techniker und Kunden daher etwas dazulernen müssen. Wie schaffen Sie es, das dafür notwenige Wissen rasch in Umlauf zu bringen?
Farnady: Das ist tatsächlich eine Herausforderung. Wir haben daher für unsere Techniker weltweit mehrere Schulungszentren eingerichtet, wo sie geschult und mit den nötigen Serviceunterlagen versorgt werden. Im Schnitt sind unsere Techniker 15 bis 20 Tage pro Jahr auf Fortbildung. Übrigens weltweit auf gleichem Niveau, sodass international agierende Kunden sich darauf verlassen können, dass sie an nahezu allen Standorten die gleichhohe Servicequalität erwarten können. Für unsere Kunden bieten wir mit einem Upgrade auch gleich maßgeschneiderte Weiterbildungspläne an. Darüber hinaus hält die ZEISS Academy ein riesiges Portfolio an Online-Schulungen, Onsite-Schulungen und Individualausbildungen bereit.
Welches Potenzial an Produktivitätssteigerung oder auch Kostenersparnis sehen Sie für Kunden, die sich für Ihren Service entscheiden?
Farnady: Da ist einmal der laufende Service selbst. Hier verfolgen wir ein klares Null-Fehler-Ziel, d. h., die Anlage sollte niemals ungeplant ausfallen. Und wenn es doch einen Ausfall gibt, z. B. durch eine Kollision, muss diese Ausfallzeit so kurz wie möglich sein. Wir messen daher nicht nur, wann wir vor Ort sind, sondern auch, wie schnell die Anlage wieder funktionsfähig ist. Das Einsparungspotenzial ist daher sehr individuell und kann schwer in Zahlen gefasst werden. Was ein Tag Ausfall oder gar Fertigungsstillstand kostet, weiß jeder produzierende Betrieb selbst am besten. Dann gibt es noch die Modernisierung. Die Möglichkeit, neue moderne und schnellere Sensoren zu verwenden, bietet einiges an Einsparungspotenzial. Allerdings ist auch das sehr individuell. Deshalb ist eine individuelle Beratung unserer Spezialisten der beste Weg zu einer seriösen ROI-Rechnung.
Stichwort Zukunftsfähigkeit: Welchen drei Faktoren sollten Ihre Kunden mehr Aufmerksamkeit schenken und wie helfen Sie mit Ihren Dienstleistungen dabei?
Raschendorfer: Standardisieren, Automatisieren und Digitalisieren. Kunden, die ihre Arbeit stark standarisieren, sind wesentlich resilienter gegenüber Lieferkettenausfällen, Personalwechsel und wiederkehrenden Fehlern im Engineering. Kunden, die gut standardisiert sind, können auch einfach automatisieren, beispielsweise Schaltpläne generieren, anstatt immer wieder alte Pläne zu adaptieren. Mitarbeiter können so auch von repetitiven Tätigkeiten befreit und für komplexere Aufgabenstellungen herangezogen werden. Zuletzt hilft die Digitalisierung, alle diese Aspekte zu vereinen. Abteilungsübergreifender, automatisierter Daten- und Artikelabgleich bildet eine Grundlage für hocheffizientes Engineering. Unternehmen, die diese Faktoren beachten und umsetzen, befinden sich bereits auf dem Pfad der Nachhaltigkeit für das eigene Unternehmen, die eigenen Mitarbeiter, die eigenen Ressourcen und somit auch die globalen Ressourcen.
Farnady: Um die Effizienz in der Qualitätssicherung zu steigern, sollte noch mehr Aufmerksamkeit auf die Ausbildung der Bediener gelegt werden. Sehr oft müssen wir bei der Messsoftware-Ausbildung feststellen, dass es an grundlegendem Wissen über die Qualitätssicherung fehlt. Um das Messprotokoll richtig zu interpretieren und mit anderen Stellen präzise zu kommunizieren, sind gute Kenntnisse der Qualitätssicherung sehr hilfreich. Wir bieten hierfür z. B. die AUKOM-Ausbildung an, eine herstellerunabhängige Messtechniker-Ausbildung in drei Stufen bis hin zum Qualitätsmanager. Immer öfter wird heute Grundlegendes für die spätere Qualitätssicherung bereits durch den Konstrukteur definiert, daher nehmen auch immer öfter Konstrukteure an der AUKOM-Ausbildung teil.
Zur Person: Alexander Raschendorfer
Alexander Raschendorfer studierte Wirtschaftsingenieurwesen-Maschinenbau an der TU Wien. Nach einigen Jahren am Institut für Fertigungstechnik der TU Wien übernahm er die Leitung einer Forschungsgruppe am CDP – Center for Digital Production mit dem Schwerpunkt auf Smart Factories. Seit Februar 2023 ist er Director Professional Services AT / SEMEA (Südosteuropa, Middle East & Afrika) bei der EPLAN GmbH.
Zur Person: Wolfgang Farnady
Wolfgang Farnady absolvierte an der Technikerschule Dr. Ing. Teuber in Stuttgart eine Ausbildung in IT und Elektronik. Seine Karriere bei Zeiss Industrielle Messtechnik startete er bereits 1987 als Servicetechniker. Er stieg schließlich zum Leiter des technischen Services und Profit Center Manager auf. Seit 2003 ist Wolfgang Farnady Managing Director für den Unternehmensbereich Industrial Quality Solutions.