13.11.2023
Eine Frage beschäftigt viele Unternehmen: Wie können mechatronische Systeme nachhaltig entwickelt, produziert, genutzt und recycelt werden? Die Antworten sind je nach Aufgabenstellung und Anwendung vielfältig. In der Forschung und Entwicklung sind viele Aspekte zu betrachten. Die Forschungsgruppe Smart Mechatronics Engineering der FH Wels forscht daran.
Der Begriff Twin Transition (oft auch Duale Transformation oder Zwillingstransformation genannt) wurde von der Europäischen Union im Zusammenhang mit dem Green Deal eingeführt und bezeichnet den gleichzeitigen Übergang zu einer nachhaltigen und digitalen Zukunft. Dazu schlägt die EU einen Zwillingsübergang auf drei Ebenen vor: die Industrieebene, die Technologieebene und die Wissensebene. Die neuen Technologien, die diesen Prozess ermöglichen, sind z. B. das Internet der Dinge (IoT), Big Data und Analytik, Cloud Computing (CC), Simulation, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), Künstliche Intelligenz (AI), Additive Manufacturing (AM), Systemintegration, Robotik und Cybersicherheit.
Die nachhaltige Herstellung und der nachhaltige Betrieb von technischen Systemen gewinnen zunehmend an Bedeutung vor dem Hintergrund des Klimawandels und beim weltweiten Reduzieren der Emissionen aller Arten von Treibhausgasen. „Da die Mechatronik beim Entwurf und Betrieb vieler aktueller Systeme wesentlich mitwirkt, kann sie einen großen Beitrag zur Erreichung vieler der genannten klimabezogenen Ziele leisten“, betont Peter Hehenberger, der die Forschungsgruppe Smart Mechatronics Engineering der Fachhochschule Oberösterreich am Campus Wels leitet. Er und sein Team erforschen mit nationalen und internationalen Partnern den Zwillingsübergang aus Sicht der Mechatronik.
Das technologische Paradigma für die Umsetzung des doppelten Wandels in der Industrie heißt EcoMechatronics. „Die Vision von EcoMechatronics ist, die Produktion von Treibhausgasen deutlich zu reduzieren und das menschliche Verhalten zu verbessern, in Übereinstimmung mit den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung, also den Sustainable Development Goals bzw. DGs“, sagt Hehenberger. EcoMechatronics ist ein relativ neues Forschungsgebiet, das die Konzepte der Mechatronik in Bezug auf Nachhaltigkeit erweitert.
EcoMechatronics unterstützt bei der Entwicklung von technischen Systemen und Geräten, die auf ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Dafür werden beispielsweise umweltfreundliche Materialien, Energieeffizienz und Recycling in den Entwurfsprozess integriert, um den ökologischen Fußabdruck von Produktions-, Nutzungs- und Entsorgungsprozessen von mechatronischen Systemen zu minimieren. Um diese Ziele zu erreichen, müssen innovative Methoden und Technologien eingesetzt werden. Diese können unter anderem smarte Sensorik, adaptive Regelungstechniken und fortschrittliche Produktionsverfahren wie Additive Fertigung umfassen.
„Der Beitrag von EcoMechatronics ist sehr vielfältig, wie wir an unseren Forschungsprojekten sehen. Diese sind z. B. die Analyse und Steuerung der Energieflexibilität in der Produktion, Demand Side Management, Kunststoffrecyclingprozesse als Teil der Kreislaufwirtschaft oder Life Cycle Assessment in den frühen Entwurfsphasen von Kleinantrieben“, erklärt Peter Hehenberger. Ein Beispiel dafür ist die Minimierung der CO2-Emissionen über den gesamten Produktlebenszyklus und die weitere Senkung der gesetzlich limitierten Emissionen als Hauptziel aller technologischen Entwicklungen, insbesondere für den Sektor Mobilität und Produktion. Mit dem Fokus auf elektrische Antriebstechnologien als Langzeitperspektive ergeben sich zwei wesentliche Ansätze für den Technologieübergang Richtung null CO2-Emission: der Einsatz von Null-CO2-Kraftstoffen (E-Fuels) und hybride Antriebstechnologien.
In diesem Kontext erarbeitete das Research Center for Low Carbon Special Powertrain (RC-LowCAP) von 2018 bis 2023 einen essenziellen Beitrag zur Dekarbonisierung von kleinen Antriebssträngen für handgehaltene Arbeitsgeräte, Personal Mobility Fahrzeuge und leichte Nutzfahrzeuge. Die Forschungen umfassten auch den Einsatz von CO2-neutralen Kraftstoffen sowohl in hybriden als auch neuartigen Verbrennungskraftmaschinenkonzepten sowie in elektrifizierten und hybridisierten Antriebsstrangkonzepten für die erwähnten Anwendungen. Dabei stand das „Real-World“-Emissionsverhalten im Fokus, also die Emissionsreduktion im Realbetrieb. Es ging nicht nur um die CO2-Reduzierung durch Hybridisierung und Elektrifizierung, sondern auch um die Minimierung weiterer Schadstoffemissionen. Außerdem wurden die CO2-Emissionen über den gesamten Produktlebenszyklus bewertet.
„Der interdisziplinäre Ansatz und die kooperativen Projekte mit verschiedenen Unternehmens- und wissenschaftlichen Partnern ermöglichten sowohl zukunftsweisende Einzelergebnisse als auch Abstimmungen und Planungen auf strategischer Unternehmensebene“, sagt Forschungsleiter Stephan Schmidt vom Institut für Thermodynamik und nachhaltige Antriebssysteme der TU Graz. So wurden zum Beispiel ein konsolidiertes Vorgehen bei künftigen Kraftstoffen (E-Fuels) vereinbart sowie ein fundiertes Verständnis für die verschränkte, gesamtheitliche Life-Cycle-Betrachtung erarbeitet. „Als Einzelergebnisse im Bereich der EcoMechatronics haben wir neuartige Sensorik- und Regelungsmethoden sowie durchgängige Entwicklungsmethoden für kleine Hybridantriebe und ein Methodenframework für die Life-Cycle-Betrachtung in frühen Entwicklungsphasen erarbeitet“, ergänzt Schmidt.
Das Teilprojekt X-LCA (Life Cycle Analysis in Early Stage Design Phase) befasste sich mit der Entwicklung einer Methodik zur frühzeitigen Berechnung des CO2-Fußabdrucks von Komponenten kleiner Antriebsstränge. „Solche frühzeitigen Berechnungen werden in der Industrie bisher noch kaum durchgeführt, sind aber essenziell für die Reduktion der CO2-Emissionen. Meist berechnet die Industrie heute die CO2-Bilanz erst dann, wenn die Produkte in Serienfertigung gehen. Anpassungen sind dann aber nur mit hohem Aufwand und hohen Kosten möglich“, erklärt Schmidt.
In verschiedenen Fallstudien mit Firmenpartnern wurde gezeigt, wie die CO2-Bilanz von Produkten und Produktionsprozessen bereits in einem sehr frühen Entwicklungsstadium berechnet werden kann. So können wesentliche Änderungen bei der Rohstoffversorgung, den Produktionsprozessen und auch bei Transport und Logistik vorgenommen werden, um die Umweltauswirkungen zu minimieren. Eine Hotspot-Analyse schärft das Bewusstsein für kritische Rohstoffe und Produktionsprozessschritte mit hohen CO2-Emissionen.
Einer der Firmenpartner war die AVL List GmbH. Entwicklungsleiter Johann Bachler über die Motivation zur Projektbeteiligung: „Die Entwicklung einer Methodik zur Berechnung des CO2-Fußabdrucks war für AVL ausschlaggebend für die Teilnahme am Forschungsprojekt X-LCA. Gemeinsam mit der FH Oberösterreich und den Industriepartnern konnten wir die wesentlichen Komponenten sowie die Stellhebel und Treiber für die im Automobilsektor notwendige Dekarbonisierung ermitteln.“ Die umfassende Methodik ermöglicht es Entwicklern, die CO2-Emissionen von Produktentwurfskonzepten zu ermitteln, bevor das Produkt hergestellt wird. Unternehmen können so den Forderungen ihrer Kunden und der Gesellschaft nach nachhaltigen Produkten gerecht werden.
Bachler bestätigt: „Somit können wir zukünftig in einem frühzeitigen Entwicklungsstadium die produktionsbedingten CO2-Emissionen bewerten und berücksichtigen. Die durch die zusätzliche Berücksichtigung der Nachhaltigkeit notwendige Entwicklungszeit und Entwicklungsschleifen werden gleichzeitig optimiert. Nachhaltigkeit und dazugehörende methodische Ansätze sind nur in Teamarbeit und themenübergreifender Zusammenarbeit möglich. In diesem Sinne bedanke ich mich bei den Mitarbeitern der FH Oberösterreich und den beteiligten Industriepartnern.“ Mit ausgewählten Aspekten der neuen Methode können künftig verschiedene Designkonzepte und Produktionspfade simuliert und miteinander verglichen werden. Ein besonderer Fokus in diesem Projekt lag auf dem Umgang mit unsicheren oder fehlenden Informationen, die eine große Herausforderung bei der frühzeitigen Berechnung darstellen.
Das zentrale Zukunftsthema ist auch in der Mechatronik, Systeme und Produkte kreislauffähiger zu gestalten. Einerseits müssen mechatronische Systeme selbst kreislauforientierter werden, andererseits unterstützen sie die verschiedenen Prozessschritte im Lebenszyklus. Das Thema ist dabei ganzheitlich zu sehen. Um ein Gesamtoptimum zu erreichen, sind die Bereiche synergetisch zu betrachten – von den Rohstoffen und Materialien über Recycling, Geschäftsmodelle und Produktentwicklung bis zur Digitalisierung. Die Methoden und Vorgehensweise können dann in verschiedenen Anwendungen wie Lebensmittelverpackungen, Stahlerzeugung oder Automobilsektor genutzt werden. „Um diesem interdisziplinären Forschungsbedarf gerecht zu werden, wurde an der Fachhochschule Oberösterreich die Initiative HoCE – HolisticCircular Economy gegründet“, sagt Peter Hehenberger.
Im COMET-Projekt beschäftigen sich österreichische Forscherinnen und Forscher mit der Minimierung der CO2-Emissionen von kleinen Antrieben und Antriebsaggregaten über den gesamten Produktlebenszyklus. RC-LowCAP behandelt Antriebe für Zweiräder, kleine Automobile sowie handgehaltene Arbeits- und Gartengeräte.
Konsortialführung:
Institut für Thermodynamik und Nachhaltige Antriebssysteme, TU Graz
Wissenschaftliche Partner:
Institut für Chemie, Universität Graz Institut für elektrische Messtechnik und Messsignalverarbeitung, TU Graz, Fachhochschule Oberösterreich Campus Wels
Unternehmenspartner:
AVL List GmbH, BMW AG, BRP-Rotax GmbH & Co KG, Continental-Emitec, Heraeus Gruppe, OMV, PRÜFREX, STIHL Ges.m.b.H., Tsetinis Consulting
RC-LowCAP wird von der FFG, dem BMVIT und dem BMDW sowie den Ländern Oberösterreich und Steiermark gefördert.