03.11.2023
Im Fachbereich Mechatronik an der JKU Linz werden die Weichen für einen Generationenwechsel gestellt. Sechs verdiente Professoren sind bereits emeritiert. Für vier davon gibt es schon Nachfolger. Wir stellen die neuen Gesichter vor und beginnen mit Marco Da Silva vom Institut für Elektrische Messtechnik.
An welchen Themen und Schwerpunkten forschen Sie?
Ich beschäftige mich mit der Konzipierung, Entwicklung und Erprobung von Mess- und Sensorsystemen. Angefangen bei chemischen und physikalischen Sensorprinzipien bis hin zu verarbeitenden Messsystemen sowie Methoden zur Messdatenverarbeitung forsche ich entlang der gesamten Messkette. Überall dort, wo völlig neue oder tiefere bzw. detaillierte Informationen von Messobjekten benötigt werden (z. B. für intelligente Produktion), kann man mit innovativer Mess- und Sensortechnik Licht in diese Problematiken bringen. Am Institut werden wir uns insbesondere auf elektromagnetische (kapazitive, induktive und resistive) und faseroptische Messprinzipien konzentrieren.
Welche Bedeutung hat die Messtechnik im Fachbereich Mechatronik?
Die Messtechnik ist eine Schlüsseltechnologie. Der Fortschritt in Wissenschaft und Technik basiert auf Messungen. „To measure is to know“, sagte einst Lord Kelvin. Für mechatronische Systeme ist die Messtechnik eine wichtige Informationsquelle, z. B. im Hinblick auf die Produktqualität in der Produktion oder die genaue Lokalisierung für ein autonomes System. Die Sinnesorgane technischer Systeme werden durch die Mess- und Sensortechnik realisiert.
Wo gibt es Schnittstellen zu anderen Instituten?
Als Querschnittsdisziplin hat die Messtechnik Schnittstellen zu fast allen Instituten des Fachbereichs Mechatronik. Neuartige Messtechnik wird überall dort eingesetzt, wo völlig neue Objekt- oder Prozessparameter sowie verbesserte Messdaten benötigt werden.
Und welchen Nutzen bringt uns Ihre Forschung als Gesellschaft bzw. Wirtschaft?
In jüngerer Zeit spielt die Messtechnik angesichts des aktuellen Trends zur Digitalisierung eine immer wichtigere Rolle. Zum Beispiel bietet die digitale Transformation in der Industrie die Möglichkeit, komplexe kostenintensive Produktionsprozesse verstärkt zu automatisieren, was wiederum ein wesentlicher Schritt hin zu Energieeinsparung, verbesserter Produktqualität und verbesserter Anlagensicherheit darstellt. Mess- und Sensorsysteme sind dabei die Hauptinformationsquelle von Produktionszuständen und spielen daher eine Schlüsselrolle im Digitalisierungsprozess. Besondere Herausforderungen bestehen dabei in der Prozessindustrie, also der Massenproduktion von Metallerzeugnissen, Chemikalien und Lebensmitteln, aber auch in Prozessen der Energieerzeugung und Wandlung.
Wo wurden Ihre Forschungsergebnisse schon in industrielle Anwendungen gebracht?
Im Rahmen eines von der Industrie finanzierten zweijährigen F&E-Projekts wurde in meiner Arbeitsgruppe eine kapazitive Messsonde zur Überwachung des Gasgehalts in Öl-Gas-Gemischen entwickelt, die in der Ölförderung eingesetzt wird. Ein explosionsgeschützter Prototyp wurde in der Pilotanlage einer Ölgesellschaft installiert und getestet.
Weitere Details im Kurzbeitrag.
Eine weitere indirekte industrielle Anwendung ist der sogenannte kapazitive Gittersensor (engl. capacitance wire-mesh sensor), ein Messsystem zur tomographischen Visualisierung komplexer Mehrphasenströmungen. Der Sensor wurde im Rahmen meiner Dissertation entwickelt, die Sensortechnologie an einen Partner transferiert und in den vergangenen zehn Jahren wurden Dutzende von Messsystemen an verschiedene Forschungseinrichtungen weltweit verkauft.
Details im wissenschaftlichen Originalartikel.
Woran arbeiten Sie aktuell?
In Zusammenarbeit mit meiner ehemaligen Universität in Brasilien wird derzeit ein Projekt zur präzisen Durchflussmessung von kohlendioxidreichen Gemischen durchgeführt, das direkte Anwendung in der Öl- und Gasindustrie findet, aber auch für Anwendungen in der Kohlenstoffsequestrierung (Kohlenstoffbindung im Boden) erweitert werden kann. In einem weiteren Projekt beschäftige ich mich mit Verfahren der Prozesstomographie und der spektralen Impedanzmesstechnik zur Visualisierung von Mehrphasenströmungen, z. B. in chemischen Reaktoren. Als jüngste Initiative am Institut werden wir uns mit der Entwicklung von faseroptisch verteilten Sensoren beschäftigen, die wiederum Anwendung in der Überwachung von Mehrphasenströmungen in Rohren oder Apparaten finden.
Sie stammen aus Brasilien. Welche Unterschiede gibt zwischen Österreich und Brasilien in Wirtschaft und Wissenschaft?
Sowohl Österreich als auch Brasilien haben ihre eigenen Stärken und Herausforderungen in Wirtschaft und Wissenschaft. Ich bin kein Experte, aber ich erlaube mir, hier zwei Aspekte zu nennen. Die Forschungsförderung des KMU-Sektors im Technologiebereich ist in Österreich sicher viel stärker und konstanter als in Brasilien. In der Wissenschaft sehe ich den größten Unterschied darin, dass es in Brasilien fast ausschließlich Auftragsforschung gibt, da die staatliche Förderung für Grundlagenforschung sehr gering ist. Die Grundlagenforschung ist aber meiner Meinung nach der Motor für Innovationen und darf nicht vernachlässigt werden.
Warum haben Sie sich für die Arbeit an der JKU bzw. in Österreich entschieden?
Die Mechatronik an der JKU hat einen sehr guten internationalen Ruf. Außerdem ist es für mich sehr attraktiv, zwischen den Bereichen Mechanik, Elektronik und Informatik an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät mit vielen kompetenten Kollegen tätig zu sein. Ich habe mehrere Jahre in Deutschland gelebt, dort promoviert und habe auch familiäre Verbindungen nach Österreich. Daher sind mir die deutschsprachige Kultur und die österreichische Wissenschaftslandschaft vertraut. Vor diesem Hintergrund war es für mich naheliegend, eine neue berufliche Herausforderung in Österreich zu suchen.
Die JKU hat mit dem Fachbereich Mechatronik einen echten Leuchtturm – wo steht die JKU damit international?
Der Fachbereich Mechatronik hat in der Tat einen ausgezeichneten internationalen Ruf für seine interdisziplinären Studiengänge und innovative Forschung. Ich schätze die Reputation der Mechatronik an der JKU sehr hoch ein. Daher ist es mir eine große Freude, die Messtechnik in Forschung und Lehre an der JKU zu vertreten und den Qualitätsanspruch der Universität und ihre Entwicklung zur europäischen Spitze zu unterstützen und mitzugestalten.
Marco Da Silva studierte Elektrotechnik sowohl an der Technischen Universität Dresden, Deutschland, als auch an der Technischen Bundesuniversität Paraná (UTFPR) in Brasilien. Er promovierte im Jahr 2008 zum Dr.-Ing. an der TU Dresden. Von 2004 bis 2009 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf. Im Jahr 2010 wechselte er als Assistenzprofessor an die Technischen Bundesuniversität Paraná. Ab 2013 war er Assoziierter Professor am Department of Electrical and Computer Engineering (CPGEI) und von 2017 bis 2022 stellvertretender Leiter des Multiphase Flow Center (NUEM) an der UTFPR. Seit Oktober 2022 ist Professor Da Silva Vorstand des Instituts für Elektrische Messtechnik an der JKU, wo er im Fachbereich Mechatronik forscht und lehrt. Seine Forschungsinteressen umfassen Messtechnik, Sensoren und Instrumentierung für industrielle Prozesse und insbesondere für die Überwachung von Mehrphasenströmungen. Er ist Autor/Co-Autor von mehr als 200 wissenschaftlichen Zeitschriften- und Konferenzbeiträgen und erhielt sechs Patente. Prof. Da Silva ist Associate Editor-in-Chief des IEEE Sensors Journal und zudem Mitglied des Editorial Board von Measurement Science and Technology.