Revolution des Wettbewerbs

Digitale Ökosysteme
Digitale Ökosysteme © AdobeStock/SuperCreator
LCM-Mechatroniklabor
Das LCM-Mechatroniklabor © LCM
Am Linz Center of Mechatronics im Science Park der JKU wird an digitalen Ökosystemen geforscht
Am Linz Center of Mechatronics im Science Park der JKU wird an digitalen Ökosystemen geforscht © LCM
Auch die Symposien der LIT Factory an der JKU thematisieren digitale Ökosysteme
Auch die Symposien der LIT Factory an der JKU thematisieren digitale Ökosysteme © JKU
Catena-X, das digitale Ökosystem der Automobilindustrie
Catena-X, das digitale Ökosystem der Automobilindustrie, wurde bei der gemeinsamen Beiratssitzung von Automobil-, Kunststoff- und Mechatronik-Cluster vorgestellt © Business Upper Austria
Daniel Schultheiss © Schultheiss Consulting
Daniel Schultheiss © Schultheiss Consulting
Klaus Straka, Leiter der LIT Factory
Klaus Straka, Leiter der LIT Factory © JKU
Johannes Klinglmayr, Linz Center of Mechatronics GmbH
Johannes Klinglmayr, Linz Center of Mechatronics GmbH © Christian Pecksteiner

12.04.2024

Digitale Ökosysteme revolutionieren Geschäftsmodelle und die Art und Weise, wie Unternehmen Produkte entwerfen, produzieren und vertreiben. Es geht nicht mehr um den Wettbewerb der Firmen untereinander. Vielmehr ist ein Wettbewerb der digitalen Ökosysteme entbrannt. In diesen Datenräumen können Akteure Daten gemeinsam nutzen und so Innovation, Effizienz und Nachhaltigkeit vorantreiben.

Produkte, Maschinen und Fabriken, ja ganze Städte sind intelligent geworden. Die Digitalisierung steigert die Produktivität, ermöglicht effiziente Prozesse und neue Geschäftsmodelle. Im Maschinenbau optimieren digitale Ökosysteme die Wartung, steigern die Produktivität und fördern Innovationen. Im Mittelpunkt steht das smarte Produkt, die Verschränkung von physischer und digitaler Welt. Das entfacht einen neuen Wettbewerb, nämlich jenen der digitalen Ökosysteme. Das sind Datenräume, in denen Daten in einer begrenzten und kontrollierten Umgebung von mehreren Akteuren zur Verfügung gestellt und genutzt werden.


Vertikale Ökosysteme

Der Schweizer Daniel Schultheiss berät internationale Unternehmen auf ihrem Weg der digitalen Transformation. Er unterscheidet zwei Kategorien von digitalen Ökosystemen: vertikale und horizontale.

„Vertikale Ökosysteme werden von einem dominierenden Unternehmen geschaffen und zentral orchestriert. Dieser zentrale Orchestrator steuert in der Regel auch die Kundenbeziehung und definiert den Nutzen für die Teilnehmer“, erklärt Schultheiss.

Ein Beispiel sind dominierende ConsumerPlattformen wie Amazon oder Booking. com. Sie integrieren Systeme und Leistungen der Nutzer in die Plattform – als Webshop oder Hotelbuchungssystem. Auf Plattformen wie eBay oder AirBnB hingegen definiert der Nutzer seine Leistungen, also was er veräußern oder vermieten will.


Komplexe horizontale Ökosysteme

„Horizontale Ökosysteme hingegen werden von einem Konsortium, einer Gemeinschaft auf Augenhöhe gesteuert. Oft sind das gemeinnützige Institutionen oder Vereine“, sagt Schultheiss.

Diese sind weitaus komplexer, weil sie verschiedene Interessensgruppen adressieren müssen – auf Kosten der Skalierbarkeit. Governance und Entscheidungsfindung basieren auf Konsens, also dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Ein Beispiel dafür ist das Cloud-Ökosystem von Gaia-X, das zur Datenintegration mehrerer Systeme benutzt wird.


Kollaborative Wertschöpfung

Der Kundennutzen steht laut Schultheiss im Mittelpunkt eines jeden ÖkosystemDesigns: „Der zentrale Treiber für neue Geschäftsmodelle und Wertschöpfung muss messbar sein. Gemeinsam genutzte Daten sind über den Wert des Kunden-Anwendungsfalls zu monetarisieren, wobei die geschaffene kollaborative Wertschöpfung größer ist als die Summe der einzelnen Wertschöpfungen.“

Gaia-X ist ein Beispiel für einen offenen und interoperablen Marktplatz. Die Plattform ermöglicht die Bereitstellung von End-to-End-Datenketten zum Verfolgen von Materialflüssen. Alle Parteien besitzen volle Datenhoheit in einer offenen, vertrauenswürdigen, kollaborativen und sicheren Umgebung. Gaia-X eignet sich für Anwendungsfälle in robusten, transparenten und effizienten Wertschöpfungsketten. Beispiele dafür sind u. a. CO2 -/ESG-Monitoring, Kreislaufwirtschaftsmanagement oder Technologiedatentransfer.


Best Practice: Catena-X

„Dieses horizontale, offene und kollaborative Daten-Ökosystem spiegelt perfekt die Vision horizontaler Ökosysteme wider, jede Organisation in die Lage zu versetzen, Mitglied in Netzwerken intelligenter, nachhaltiger Unternehmen zu werden“, betont Schultheiss.

Das auf Gaia-X beruhende, über Catena-X konzipierte und von CofinityX betriebene Öko-System der Automobilindustrie ist für Schultheiss das Best-Practice-Beispiel. Es ermöglicht Unternehmen, Daten sicher auszutauschen und zu teilen. Dies fördert die Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette. In der Automobilindustrie unterstützt Catena-X somit eine transparente und effiziente Vernetzung von Herstellern, Zulieferern und Dienstleistern.


LIT-Factory als Pilotfabrik

Die LIT Factory am Campus der Johannes Kepler Universität (JKU) Linz will sich in den kommenden Jahren als Pilotfabrik für Digitalisierung und Digitale Transformation etablieren. Dazu sollen Konzepte wie digitale Ökosystem oder der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) am Beispiel der kunststoffverarbeitenden Industrie und deren Kreislaufwirtschaft demonstriert werden. Für den Leiter der LIT Factory, Klaus Straka, spielen digitale Ökosysteme und Datenräume eine immer bedeutendere Rolle.

Er knüpft an die Aussagen Schultheiss‘ an: „Für produzierende Unternehmen bieten Datenräume hervorragende Chancen. Durch sie wird der Datenaustausch mit anderen Unternehmen entlang von Wertschöpfungsketten erleichtert. Datenbarrieren werden überwunden und die einzelnen Akteure in der Wertschöpfungskette können ihre Produktionseffizienz steigern, Kosten senken und Produktqualität optimieren.“

Resilienz durch Datenaustausch

Ohne einen effizienten Datenaustausch entlang der Wertschöpfungsketten werden effiziente Produktion, schnelles Reagieren auf äußere Einflüsse und somit bessere Resilienz von Unternehmen nicht mehr möglich sein. Auch rechtliche und regulatorische Aspekte machen digitale Ökosysteme erforderlich.

„Exemplarisch seien hier der Product Carbon Footprint (PCF) oder der Digitale Produktpass erwähnt, welcher aut Ökodesign-Verordnung der Europäischen Union für erste Produktgruppen bis Februar 2027 einsatzbereit sein soll“, betont Straka.


Standardisierte Daten

Digitale Ökosysteme müssen drei Anforderungen erfüllen: Datensouveränität, Agilität und Interoperabilität.

„Um die Agilität und die Interoperabilität zu gewährleisten, wird es notwendig sein, dass die auszutauschenden Daten in einer möglichst standardisierten Form vorliegen. Ein Lösungsansatz ist die Asset Administration Shell, im deutschen Sprachraum auch Verwaltungsschale genannt“, erklärt Straka.

Die Verwaltungsschale wird auch als die Umsetzung des Digitalen Zwillings für die Industrie 4.0 bezeichnet und soll eine herstellerübergreifende Interoperabilität ermöglichen (siehe Infobox). Die Grundidee dabei ist, dass es zu jedem realen Asset (z. B. einer Spritzgießmaschine) eine Verwaltungsschale gibt, die unterschiedlichste Informationen zum realen Objekt zur Verfügung stellt.


Use Case Kunststoffverarbeitung

Den Datenaustauch entlang der Wertschöpfungskette auf Basis von Datenräumen und Verwaltungsschalen stellt die LIT Factory mit dem Use Case der Kunststoffverarbeitung dar. Die dazu notwendigen Forschungen laufen in den geförderten Projekten „ResearchLin-X“ und „PilotLinX“ in Kooperation mit der Pilotfabrik Wien und der SmartFactory der TU Graz. Die Forschungsergebnisse sollen den Nutzen von digitalen Ökosystemen für KMU demonstrieren.


Digitale Produkte entwickeln

An weiteren Use Cases für digitale Ökosysteme arbeitet die Linz Center of Mechatronics GmbH (LCM).

„Diese Assets dienen primär dazu, interne Prozesse bei Unternehmen zu verbessern. Es besteht aber auch die Möglichkeit, damit neue digitale Produkte zu entwickeln“, sagt Johannes Klinglmayr, der den Bereich Research & Transformation bei LCM leitet.

So geschehen beim Projekt NEOKE, das aus Mitteln des strategischen Wirtschafts- und Forschungsprogramms #upperVISION2030 vom Land Oberösterreich gefördert wurde. Projektpartner waren die Nemak Linz GmbH und die Fill GmbH.


LCM, Nemak und Fill im Pilotptojekt

„Mit dem Projekt wollten wir Firmen zeigen, wie sie digitale Produkte erzeugen, ihr Know-how digital verfügbar machen und digitale Dienstleistungen anbieten können“, schildert Klinglmayr.

Es ging auch um die Frage, wie eine Plattform für digitale Produkte ausschauen kann und was es dafür braucht. Und das war die Ausgangssituation: Nemak produziert Aluminiumgüsse für die Automobilindustrie und erhält dazu die Geometriedaten. Für die Güsse werden Negativmodelle und Sandkörper für die späteren Hohlräume gefertigt. Nach Abkühlen des Gusses werden die Sandkörper entfernt. Dieser Entkernprozess funktioniert so: Hammerschläge auf das Gussteil zerstören die Sandkörper, die mittels Rüttelprozess vom Gussteil entfernt. werden. Fill liefert die Hammermaschine, die auch für die Rüttlung zuständig ist.


Digitales Modell als Lösung

Damit die Hammerschläge das Gussteil nicht beschädigen, simuliert Nemak den Hammerprozess, um ihn zu optimieren. Dafür sind vor allem Simulationen der Krafteinflüsse notwendig. Mit dem digitalen Modell der Entkernmaschine könnte die Nemak den Prozess am besten optimieren. Fill will das digitale Modell der Maschine verständlicherweise aber nicht einfach aus der Hand geben.

„Wir haben in der Pilotphase daher eine Umgebung geschaffen, in der die Nemak die Daten von Fill nutzen kann, ohne das Know-how von Fill zu bekommen, und umgekehrt“, erklärt Klinglmayr.

Kern der Umsetzung ist die Softwareumgebung SyMSpace des LCM.

„So konnten beide Unternehmen Kompetenzen für firmenübergreifendes Design erlangen, Wertschöpfungsmöglichkeiten erkennen und besser abschätzen, welche Schritte es bedarf, um in Datenservice-Ökosysteme einzusteigen“, resümiert Klinglmayr.