Fertigung neu denken

3D-Druck von metallischen Werkstoffen am IFT der TU Wien. © IFT TU Wien
3D-Druck von metallischen Werkstoffen am IFT der TU Wien. © IFT TU Wien
Das Institut für Fertigungstechnik der TU Wien optimiert in additiven Verfahren die Dichte der Bauteile. © IFT TU Wien
Das Institut für Fertigungstechnik der TU Wien optimiert in additiven Verfahren die Dichte der Bauteile. © IFT TU Wien
Die Oberfläche von additiv gefertigten Bauteilen muss meist elektrochemisch nachbearbeitet werden. © FOTEC
Die Oberfläche von additiv gefertigten Bauteilen muss meist elektrochemisch nachbearbeitet werden. © FOTEC

16.05.2022

Unter dem Projektnamen „AdProcAdd“ („Advanced Processing of Additively Manufactured Parts“) haben sich zahlreiche Firmen- und Forschungspartner zusammengetan. Das Projekt, vom Mechatronik-Cluster Büro St. Pölten gemanagt und im Rahmen des CORNETProgramms gefördert, hat die Sichtweise grundsätzlich verändert: In vielen Unternehmen wird 3D-Druck nicht mehr als Substitution von spanenden oder Gussverfahren gesehen, sondern als Möglichkeit, ein Bauteil und sein Design von Grund auf neu zu denken.

Könnte ein Steuerblock für hydraulische Antriebe, der bislang mittels spanender Fertigung aus Stahl erzeugt wurde, auch mithilfe eines 3D-Druckverfahrens hergestellt werden? Mit dieser Frage trat Bosch Rexroth an die TU Wien heran, wo am Institut für Fertigungstechnik und Photonische Technologien sowie in der Pilotfabrik in der Seestadt Aspern schon viel Erfahrung mit additiven Verfahren der Metallverarbeitung gesammelt wurde. „Wir haben ein Bauteil herangezogen, das bereits in einer bestehenden Kundenanwendung genutzt wird, und wollten die Möglichkeiten ausreizen, die der 3D-Druck für das Design des Blocks hat“, erzählt Reinhard Brandstetter. Er arbeitet im Bereich „Sales Application and Engineering“ am österreichischen Standort von Bosch Rexroth, wo Komponenten für hydraulische Antriebe konstruiert und hergestellt werden. Die Additive Fertigung hält Brandstetter dabei für eine wichtige Ergänzung zu den bisher eingesetzten Verfahren.
 

Use Case Steuerblock

Andreas Schütz von der Pilotfabrik der TU Wien übernahm die Aufgabe, die Führung der Kanäle des Steuerblocks zu optimieren: „Sie können in einem Metallblock keine Bohrungen durchführen, die um die Ecke gehen. Also bohrt man zwei Kanäle und verbindet sie anschließend, was Druckverluste nach sich zieht.“ Bei einem schichtweise aufgebauten Modell sind derartige Geometrien aber kein Problem. Im Wechselspiel zwischen Bosch Rexroth und TU Wien wurden drei komplette Neukonstruktionsschleifen gezogen, in denen immer mehr Vorgaben des ursprünglichen Designs infrage gestellt und die Vorteile der Additiven Fertigung genutzt werden konnten. „Das dritte Modell, das sich vom ursprünglichen schon stark unterschieden hat, wurde dann gebaut und wird jetzt bei Bosch Rexroth hydraulisch getestet.“
 

Druckparameter optimieren

Global Hydro nutzte das Projekt, um sich eingehend mit dem Verfahren des Selektiven Laserschmelzens (SLM) zu beschäftigen. Das Unternehmen, das Komponenten für die Turbinentechnik herstellt, hat selbst in ein SLM-Gerät investiert, kam aber mit den eigenen Kapazitäten schnell an die Grenzen. Denn es kann acht Tage dauern, bis ein Turbinenbauteil von 150 Kilogramm aus dem Drucker kommt. Thomas Eder, Produktionsleiter bei Global Hydro, griff daher gern auf die Zusammenarbeit mit der TU Wien zurück. Eine der wesentlichen Aufgaben bestand darin, die Druckparameter so zu wählen, dass die Porenbildung des gedruckten Bauteils minimiert wird. „Jeder Fehler hat angesichts der starken mechanischen Beanspruchungen immense Auswirkungen. Es treten Risse auf, die das Bauteil zerstören können“, erläutert Benjamin Losert, Projektmanager im Mechatronik-Cluster.
 

Erste und zweite Schritte

Bei Schiebel wird Metall-3D-Druck schon für die Produktion von Komponenten marktgängiger Produkte verwendet. Das Unternehmen ist in der Entwicklung unbemannter Mini-Helikopter weltweit führend. Im Projekt „AdProcAdd“ sollte das Einspritzsystem für den Motor des „Camcopters“ mittels 3D-Druckverfahren hergestellt werden. Mit den Projektpartnern FOTEC und Rena Technologies wurde das Augenmerk auf das Wechselspiel von Additiver Fertigung und Nachbearbeitung gelegt. „Es lässt sich nicht vermeiden, dass im Druckprozess angesinterte Pulverpartikel nach dem Druck im Bauteilinneren hängen bleiben. Derartige Verunreinigungen können zu Blockaden führen“, erklärt Dominik Kohl, Team Leader Additive Manufacturing & Electronics Engineering. Zudem ist es nötig, Stützstrukturen, die für das Laserschmelzen erforderlich sind, im Nachhinein wieder zu entfernen.
 

Hirtisieren erleichtert die Arbeit

Bei Schiebel hat man für diese Aufgabenstellungen schon gute Erfahrungen mit einem Nachbearbeitungsprozess gemacht, der sich „Hirtisieren“ nennt: Dabei bewirken Stromsignale im Wechselspiel mit der Elektrolyt-Lösung das gezielte Abtragen von Pulveranhaftungen und Supportstrukturen. Der Prozess wurde bei der Firma Hirtenberger Engineered Surfaces entwickelt, die 2020 vom deutschen Unternehmen Rena Technologies übernommen wurde. Das Team der FOTEC, der Forschungstochter der FH Wiener Neustadt, beschäftigte sich mit dem Laserschmelzen und dem Hirtisieren. „Es ist darum gegangen, die Parameter der Nachbearbeitung so zu wählen, dass die Stützstrukturen gut entfernt werden können und eine saubere Oberfläche entsteht“, sagt Marlies Schlauf.
 

Die Kunst der Nachbearbeitung

Die Prototypen des Einspritzsystems von Schiebel sollen schon bald in Stückzahlen von 30 bis 50 in Produktion gehen. In Zusammenarbeit mit FOTEC hat Rena auch ein eigenes Bauteil entwickelt. „Wir konnten zeigen, dass gleichzeitig innenliegende Kanäle nachbearbeitet und außenliegende Stützstrukturen entfernt werden können“, sagt Selma Hansal, F&E-Leiterin bei Rena. In der Zusammenarbeit mit dem IFT zeigte sich außerdem, dass manche Mängel des Endprodukts schon auf Fehlbilder des Druckens zurückzuführen sind, aber erst im Zuge der Nachbearbeitung sichtbar werden. Dass die Prozesskette nicht mit dem Druckvorgang endet – diese Erfahrung teilen auch die anderen Projektpartner: „Man kann 3D-Teile nicht aus dem Drucker nehmen und einsetzen – es muss immer eine Nachbearbeitung geben“, sagt Thomas Eder.
 

Randporosität beherrschen

So kann es sein, dass Kern und Rand des Werkstücks mit unterschiedlichen Parametern gedruckt werden und daher zwei Zonen mit unterschiedlichen Eigenschaften miteinander in Kontakt kommen. „In diesem Fall bekommt man die Randporosität nicht allein durch Wahl der Prozessparameter weg“, erklärt Dimitrii Nikolaev vom IFT. Als geeignetes Nachbearbeitungsverfahren hat sich das „Machine Hammer Peening“ (Maschinelles Oberflächenhämmern) herausgestellt. Dabei übt ein Hammerwerkzeug hochfrequente Schläge auf das Bauteil aus. Die Funktionsfläche wird so geglättet und verschleißfest, gleichzeitig die darunterliegende Randschicht komprimiert und von Poren befreit.
 

Wohin die Reise geht

Thomas Schlauf von FOTEC hält es für wichtig, dass die Betriebe sich die Technologie ins Unternehmen holen, dass sie beginnen, in Kriterien des 3D-Drucks zu denken. Gemeinsam haben die Projektpartner schon ein Nachfolgeprojekt (AdProcAdd II) konzipiert. Schiebel, FOTEC und Rena wollen dabei das richtige Design von Stützstrukturen in den Mittelpunkt stellen. An der TU wird man im Folgeprojekt von Pulver zu Ausgangsmaterial in Drahtform wechseln und sich mit dem Verfahren WAAM (Wire and Arc Additive Manufacturing) befassen.

 

Artikel in voller Länge: www.chemiereport.at

 


 

DAS PROJEKT

„AdProcAdd“ („Advanced Processing of Additively Manufactured Parts“) ist ein im Rahmen des CORNET-Programms gefördertes Kooperationsprojekt, das sich mit Fertigungsprozessketten, bei denen additive und subtraktive Fertigungsschritte aufeinanderfolgen, beschäftigt. Ziel ist, die Werkstückeigenschaften bezüglich Geometrie, Oberflächen- und Untergrundeigenschaften über ASM-Prozessketten so anzupassen, dass vordefinierte Anforderungen erfüllt werden können.
 

Steering Committee:

FKM – Forschungskuratorium Maschinenbau e.V., ecoplus. Die Wirtschaftsagentur des Landes Niederösterreich, KU Leuven, inspire AG, Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart, Institut für spanende Fertigung (ISF) der TU Dortmund, GFE – Gesellschaft für Fertigungstechnik und Entwicklung Schmalkalden e.V., Institut für Fertigungstechnik und Lasertechnologie (IFT) der TU Wien, FOTEC GmbH, Thomas More University College, Sirris, Belgian Welding Institute, Institut für Werkzeugmaschinen und Fertigung der ETH Zürich
 

Österreichische Firmenpartner:

Airborne Technologies GmbH, Bosch Rexroth GmbH, ENPULSION GmbH, Bühler AG, GLOBAL Hydro Energy GmbH, GW St. Pölten Integrative Betriebe GmbH, Haumberger Fertigungstechnik GmbH, Hirtenberger Engineered Surfaces GmbH, Indat GmbH, IMR Metallverarbeitungs- GmbH, Orlik & Co GmbH, RHP Technology GmbH, Schiebel Elektronische Geräte GmbH, Test Fuchs GmbH, voestalpine BÖHLER Edelstahl GmbH & Co KG, voestalpine Metal Forming GmbH


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